Zwei Tage Hamburg – und mein Handy gibt währenddessen seinen Geist auf. So kann ich keine Fotos von meinem Besuch machen und muss mich ohne google maps durchschlagen. Doch ich habe trotzdem eine Menge an Eindrücken im Reisegepäck, die ich gerne teilen möchte. Deshalb gibt es ein paar Fotos, die mein Mann gemacht hat und eine Skizze.
1. Hafencity und Überseequartier
Als wir Montagabend so gegen neun in unserem Hotel in der der Hafencity ankommen, haben wir Hunger. Frohen Mutes laufen wir los – schließlich sind SPIEGEL-Zentrale, Überseequartier und Speicherstadt fußläufig entfernt. Zwei Stunden später sitzen wir mit einer Take-away-Pizza in unserem Hotelzimmer und können nicht fassen, dass man in einer Großstadt montagabends nichts anderes finden kann.
Am nächsten Tag wirkt das Überseequartier wie ein anderes Stadtviertel: quirlig, voller Menschen und Baustellen. Wäre ich am Abend vorher allein unterwegs gewesen, hätte ich wohl geglaubt, alles nur geträumt zu haben.
2. Hobenköök im Oberhafen
Nicht Hauben-, sondern Hafenküche, das bedeutet der Name dieses Mitteldings zwischen Restaurant und Markthalle, Doch das war es schon mit „mittel“ – alles andere ist weit entfernt von Durchschnitt. Wir entdecken die Location bereits am ersten Abend, doch da hat die Küche gerade vor wenigen Minuten geschlossen. Und mit leeren Magen wollen wir auch nicht an der Bar Platz nehmen.
Das Ambiente ist so spannend, dass wir beschließen, es am Dienstag erneut zu versuchen. Und was soll ich sagen: Es ist toll, dass wir wiedergekommen sind. Die Kellnerin erinnert sich sogar an uns. Und als sie von unserer nächtlichen Odyssee der Essenssuche hört, bringt sie uns kurze Zeit später zwei Prosecco aufs Haus als Wiedergutmachung dafür, uns am Abend vorher hungrig weitergeschickt zu haben. Wir sind entzückt.
Das Wohlgefühl setzt sich fort: Allein der Raum ist einen Besuch wert. Zur Toilette am anderen Ende des riesigen Raumes zu gehen, bedeutet auch, an dem Markthallenangebot vorbeizuflanieren. Wir fühlen uns willkommen, gut umsorgt und das Essen mit regionalen Zutaten ist fantastisch. Die Köche bedienen sich in der Markthalle, kochen also mit den Produkten, die sie in der jeweiligen Saison am jeweiligen Tag vorfinden. Extrem frisch und nachhaltig, Entspannung und Wohltat für Körper und Geist. Uneingeschränkte Herzensempfehlung!
Hobenköök Restaurant und Markthalle, Hamburg HafenCity, Stockmeyerstraße 43
3. Elbphilharmonie
Gelesen habe ich schon Etliches über die Elbphilharmonie, Konzertkarten kurz vorher zu ergattern, ist uns nicht gelungen. Und um uns dafür an der Abendkasse anzustellen, fehlen Zeit und Geduld. Doch einen Eindruck über die faszinierende Architektur gewinnt man auch, wenn man von dem kostenlosen Eintritt zur Plaza innerhalb der „Elphi“ – wie die Hamburger ihr neues Wahrzeichen liebevoll nennen – Gebrauch macht. Mit der Bogenrolltreppe gelangen wir uns Innere. Dass diese die längste ihrer Art in Europa ist, lese ich erst später. Sie ist jedenfalls beeindruckend und durch ihre Bauart sieht man erst nach einiger Fahrzeit, wo man landen wird.
Das, was zugänglich ist, gefällt mir gut. Super finde ich das Logo mit dem markanten Gebäudeumriss und die Auswahl an Büchern im Shop. Besonders für Kinder wird Einiges geboten. Die Außenterrasse um die Innenräume herum ist allerdings heute zugig und kalt – Hamburger „Shiet-Wetter“ halt. Mittlerweile hat es zu regnen angefangen und der Wind bläst um Ohren und Nase. Doch die 360-Grad-Aussicht ist grandios: Speicherstadt, Hafen, Kräne, Hamburg-Skyline: Alles liegt uns zu Füßen. Besonders der Blick auf die Landungsbrücken mit den riesigen Kränen und Tankern hat es mir angetan. Hamburg ist nicht nur schön, sondern sehr beeindruckend. Und es atmet die weite Welt.
4. Rathaus
Das 1897 eröffnete Hamburger Rathaus ist ein Kleinod. Eigentlich fühlt es sich an, als sei es ein Ausstellungsort, aber dann wird klar, dass es vor allem ein Arbeitsplatz ist. Beeindruckende Architektur, der große Weihnachtsbaum wirkt winzig neben den Säulen und Rundbögen. In den Schau- und Infokästen finden sich Parteiverteilungen und Zuständige, Eingaben und Termine. Ehrengäste dürfen ins Goldene Buch schreiben (das eigentlich kein Buch, sondern eine lose Zettelsammlung ist); dort finden sich illustre Namen wie Otto von Bismarck, Königin Elisabeth, Dalai Lama, Boris Becker und Dustin Hoffman.
5. Weihnachtsmarkt
Direkt vor den Rathaustüren findet sich der Roncalli-Weihnachtsmarkt. Die Angebote unterscheiden sich nur geringfügig von anderen Weihnachtsmärkten, doch er ist gemütlich. Und das trotz des nassen Wetters, das gar nicht daran denkt, sich vom Acker zu machen. Ein Stand mit Schmalzgebackenem, das anschließend großzügig in Puderzucker gewälzt wird, weckt wehmütige Erinnerungen an die Kräppl meiner Kindheit auf dem Dresdner Striezelmarkt. Und sie schmecken genauso lecker!
Um die Ecke schließt fast nahtlos der Weihnachtsmarkt an der Binnenalster an, dessen Panorama ich bereits am Vortrag vom Busfenster aus bewundert hatte.
6. Bucerius Kunst Forum
2000 Jahre Kulturgeschichte der Blumen – hört sich trocken an? Ist es ganz und gar nicht. Die wunderbare Ausstellung „Flowers forever“ war im letzten Jahr in der Kunsthalle München und ist nun im Bucerius Kunst Forum zu sehen. Rund 170 Werke aus der ganzen Welt sowie einige extra geschaffene Objekte und Installationen zeigen, wie sich der Blickwinkel auf diese Wunderwerke der Natur vom Altertum bis heute geändert hat. Der Rundgang mit sieben Themengruppen ist abwechslungsreich und überraschend; Kunst, Design, Mode und Naturwissenschaft finden ihren Platz und beeinflussen sich gegenseitig. Es macht Spaß, neue Zusammenhänge zu entdecken und Wunderbares, Skurriles, Witziges, Beklemmendes, Politisches und Poetisches zu entdecken. Immer wieder höre ich von anderen Besucher:innen „Oh, ist das schön“ in allen möglichen Variationen – und genau das denke ich ebenso häufig. Was mich wieder einmal zu meiner persönlichen Frage führt, wie viel Platz die Schönheit in der Kunst haben darf oder sogar muss.
An manchen Stellen habe ich allerdings das Gefühl, dass die tiefgreifenden Erklärungen zur Kunst erst im Nachhinein entstanden sind, um dem experimentierfreudigen Spieltrieb des Kunstschaffenden eine offizielle Legitimation zu verleihen. Sei’s drum, die Werke und ihre Zusammenstellung machen auch ohne Erklärungen Freude. Mein persönliches Highlight: die rund 100.000 getrockneten Blumen, die von feinsten Drähten umwunden von der Decke hängen. Jede Einzelne lädt zum genauen Hinschauen ein. Am liebsten möchte ich mich mitten in diese Installation der britischen Künstlerin Rebecca Louise Law setzen und dort verharren. Sogar ein leiser Duft hängt noch im Raum.
Zweites Highlight: der trockene Humor der Hamburger Museumswärter: Einer von ihnen erzählt mit unbewegter Miene zwei staunenden Besucherinnen, dass die Blumen jeden Abend gezählt werden müssten, damit keine Einzige verloren geht (weil die Künstlerin alle zurückhaben möchte). Obwohl der zweite Teil stimmt, ist der erste Seemannsgarn – wie er kurze Zeit später lachend zugibt.
Flowers Forever – Blumen in Kunst und Kultur
12. Oktober 2024 bis 19. Januar 2025; Bucerius Kunst Forum, Alter Wall 12, Hamburg
7. Ernst Barlach Haus
Dieser Ort ist gar nicht so einfach zu finden. Er liegt ein bisschen außerhalb der Innenstadt im Jenischpark, von der S-Bahn-Station Klein Flottbek ist es noch eine Viertelstunde zu Fuß. Die Beschilderung ist nicht überzeugend, ich muss mehrfach Menschen fragen, wie ich dorthin komme. Nicht alle Angesprochenen kennen das Museum.
Von außen wirkt es abweisend, fast hermetisch abgeschlossen; ich bin nicht sicher, ob der Eingang wirklich einer ist. Im Innern dann ein lichtdurchfluteter, erstaunlich großer Ort, der dem Bildhauer Ernst Barlach und seinen Werken gewidmet ist. Daneben finden Wechselausstellungen statt, so auch die heutige: Elfriede Lohse-Wächtler.
Welch beeindruckende Frau, welch unbeugsame Kraft in ihrer Kunst steckt. Das nehme ich wahr, als ich mir die fast 100 werke anschaue, und noch, bevor ich ihre Biografie in dem sehr schön gestalteten Begleitflyer lese. Eine Biografie, die mich schaudern lässt: Aufgrund psychischer Probleme wurde sie in Anstalten eingewiesen, von den Nazis zwangssterilisiert, später umgebracht. Und trotzdem, trotzdem hat sie an ihrer Kunst festgehalten, ihre eindrücklichen Werke geschaffen – alles andere als glatt gebügelt, sondern das Leben und vor allem die Menschen in all ihrer Wucht und Unzulänglichkeit zeigend. Schonungslos, vibrierend, doch zugleich zärtlich. „Zwiebelfeuerfresserkunst“, so sagte sie selbst. Nicht leicht zu ertragen, doch man kann nicht anders, als hinzuschauen. Welch Inspiration.
Elfriede Lohse-Wächtler: Ich als Irrwisch. Hommage zum 125. Geburtstag.
27.10.2024 – 9.2.2025, Ernst Barlach Haus, Hamburg
8. Elbschlossresidenz
Als ich die Dame an der Kasse im Ernst Barlach Haus frage, wie ich zu Fuß zu der Ausstellung mit den Norddeutschen Landschaftsbildern gelange, schaut sie mich nur fragend an. Davon habe sie nichts gehört. Ein Besucher bietet mir an, für mich den Weg auf seinem Handy zu suchen. Es ist gar nicht weit von hier, nochmal knapp 20 Minuten zu Fuß, der nächste Ort Richtung Elbe. Ich stelle mich dem windigen Winterdunkel und mache mich auf den Weg.
Überrascht bin ich: Es ist eine Seniorenresidenz, kein klassisches Ausstellungssetting. Aber warum eigentlich nicht? Schließlich stelle ich selbst ja auch in einem Hotel aus. Beherzt gehe ich hinein und mir wird freundlich der Weg gewiesen.
Die Ausstellung mit rund 120 (selbst gezählt!) Öl-, Acryl- und Aquarellbildern, Fotografien und Zeichnungen spannt einen Bogen von fast 100 Jahren der Auseinandersetzung Kunstschaffender mit der Landschaft des Nordens: ihrem Licht, ihrer Weite und ebenso dem Lebensgefühl von Hamburg und seinen Häfen. Spannend finde ich die Mischung aus Kunstwerken aus der Sammlung, die der NDR seit den 50er Jahre zusammengetragen hat, um zeitgenössische Künstler:innen zu fördern, und aktuellen Arbeiten von Kunschaffenden des Kunstvereins Blankenese. Die Werke hängen an einer sich bogenförmig schlängelnden Wand, geschickt kuratiert und sehr spannend gegenüber gestellt. Unter den 65 Künstler:innen finden sich alte Bekannte wie Horst Janssen, Paula Modersohn-Becker und Otto Modersohn, Karl Kluth, Karl Schmidt-Rottluff, Klaus Fußmann und Günter Grass. Doch auch die „neuen“ haben eine Menge zu bieten und zeigen vielfältige Positionen.
Vielseitig und abwechslungsreich und ganz und gar nicht „langweilige Landschaft“ – sehenswert!
Weite und Licht. Norddeutsche Landschaftsmalerei im Wandel der Zeit. Bilder aus der NDR Kunstsammlung in Kombination mit Werken der Freiluftmaler:innen des Kunstvereins Blankenese.
17.11.2024 – 16.3.2025, Elbschloss-Residenz, Hamburg-Nienstedten
9. Hamburger Humor & Freundlichkeit
Was macht einen Ort aus, damit man sich zuhause fühlt? Die Menschen. Was das betrifft, fühle ich mich sehr wohl in dieser wunderbaren Stadt. Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft begleiten mich die ganze Zeit. Auch mit dem beschriebenen trockenen Humor mache ich mehr als einmal Bekanntschaft. Ich habe das Gefühl, Hamburg ist mir wohlgesonnen.
Fazit
Hamburg ist definitiv einen Besuch wert. Nein, eigentlich mehrere. Die Menschen sind freundlich, die Architektur ist toll, das Wasser sowieso. Ich komme auf jeden Fall wieder, um manches noch einmal zu sehen, anderes überhaupt kennenzulernen. Und die Musiksäale der Elbphilharmonie und deren beeindruckenden Sound möchte ich unbedingt auch noch erleben. Mein nächsten Mal lege ich meinen Besuch auf eine andere Jahreszeit, dann ist es vielleicht nicht trockener, aber wenigstens wärmer.
Links:
- So gern ich in Lindau am Bodensee lebe, so gern besuche ich auch größere Städte. Hier schreibe ich über eine Reise nach London.
- Doch auch in kleinen Orten finden sich kulturelle Perlen. Etwa in Kaufbeuren, bei einer Horst-Janssen-Ausstellung vor zwei Jahren.
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