Horst Janssen in Kaufbeuren

von | 29. April 2022 | Kunst erleben

Horst Janssen war ein begnadeter Künstler – für mich einer der größten Zeichner und Druckgrafiker überhaupt. Zum Horst-Janssen-Museum in seiner Geburtsstadt Oldenburg habe ich es bisher noch nicht geschafft. Aber nun zeigt das Kunsthaus Kaufbeuren viele seiner Werke im Allgäu. Welch Gelegenheit…

Bekannt ist der norddeutsche Künstler (1929–1995) wohl vor allem als Zeichner von schonungslosen Selbstportraits und oft karger Landschaften sowie für seine meisterhaften Radierungen und Lithografien, auch wenn diese Zuschreibung viel zu kurz greift. Seine Themenvielfalt ist beeindruckend. Viele seiner Werke haben eine charakteristische Linienführung und wirken fast monochrom. Intensivere Farbe hat er erst in seinen letzten Schaffensjahren nach einem Unfall mit Augenverletzung in sein Werk integriert.

Janssens Kunst: thematisch riesige Vielfalt

Janssen war ein unermüdlicher, fast schon getriebener Künstler, der ein gewaltiges Œuvre hinterlassen hat. Allein die Anzahl seiner Selbstportraits geht in die Tausende. Gern hat er in thematischen Serien gearbeitet, oft beeinflusst durch eindrückliche Situationen und Erlebnisse in seinem Leben: Liebesbeziehungen – deren Anfang und Ende und all die Bewegung dazwischen –, Reisen, Kunstgeschichte, Literatur, Theater. Die Liebe und das Leben hatten es ihm angetan, die Vergänglichkeit und der Tod. Und immer wieder die Natur, ihr Makrokosmos in der Landschaft ebenso wie die kleinen Details.

Landschaften im Obergeschoss des Kunsthaus Kaufbeuren (© VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

Mikrokosmos und Makrokosmos: nicht abstrakt, doch eigen

Janssen war einer der Künstler, die es schaffen, in jedem Motiv etwas Wunderbares zu entdecken. Man sieht oft erst auf den zweiten Blick, dass es ihm um diese kleinen Dinge geht, da sie kunstvoll zu einer Landschaft verwoben sind. Doch dann steht man staunend vor Zeichnungen und Grafiken rostiger Haarnadeln und verwelkter Blüten, von Zigarettenstummeln und Tannenzapfen, freut sich über ihre Ästhetik und Detailtreue.

Nicht nur sich selbst hat er extensiv dargestellt, auch andere Menschen und Tiere fanden den Weg in seine Bilder. Oft mit leichter Hand und spontan, dann wieder skurril-ironisch, meist sehr detailverliebt, nie abstrakt. Vor einem Werk kann man leicht lange Zeit verbringen, ohne sich satt zu sehen. Ob schnell gezeichnet oder geduldig mit mehreren Radierplatten und Durchgängen erschaffen – Janssens Strich wirkt immer sicher, genau wie seine Komposition. Janssen war nicht nur getrieben und emotional, sondern ein Künstler, der sein Handwerk versteht.

Blick aufs Detail (© VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

Vom Werden und Vergehen

In dieser Ausstellung, betitelt „Vom Werden und Vergehen“, hängen vor allem Landschaften und Stilleben, an einer Wand finden sich Portraitserien. Andere Personen oder Akte – denen er auch viel Zeit gewidmet hat – sind eher wenig vertreten. Das liegt vermutlich daran, dass das Kunsthaus ausgewählte Werke aus seiner Kunstsammlung zeigt. Zur Gründung 1996 fanden durch eine Schenkung fast 400 Janssen-Werke ihren Weg vom Norden in den Allgäu.

Ich finde die Hängung wirklich herausragend. Es ist nicht einfach, zwei Etagen mit 150 überwiegend kleinformatigen Arbeiten so zu bestücken, dass das Anschauen nicht ermüdet, man immer wieder Neues entdeckt und die Werke sich gegenseitig stärken, statt zu schwächen. Ich war hinterher eher erfrischt und hatte das Gefühl, direkt noch einmal starten zu wollen.
Also: Wer bis Mitte Mai im Allgäu (oder in der Nähe) weilt, sollte sich diese Ausstellung unbedingt ansehen. Auch oder gerade, wenn er bisher Horst Janssen noch nicht kennt!

Übrigens: Entdeckt habe ich Horst Janssen selbst erst vor ein paar Jahren – und das, obwohl er spätestens seit seiner Teilnahme an der documenta in Kassel 1977 international bekannt ist. Janssen konnte auch wunderbar mit Worten umgehen und hat während seiner Beziehungen (wovon es Etliche in seinem Leben gab) viele Liebesbriefe geschrieben und gezeichnet. Vom Schriftverkehr mit Gesche gibt es ein kleines Büchlein (»Ach, Liebste, flieg mir nicht weg«), das ich zufällig über eine Rezension gefunden hatte. Die darin erhaltenden Zeichnungen hatten mich beim Lesen so sehr berührt, dass ich anfing zu recherchieren. Mittlerweile besitze ich mindestens 10 dicke Bücher über Horst Janssen und zwei winzig kleine Radierungen.

Horst Janssen
Vom Werden und Vergehen
Kunsthaus Kaufbeuren
noch bis 15. Mai 2022


Weitere Links

  • Hier geht es zur entsprechenden Internetseite vom Kunsthaus Kaufbeuren
  • Eine kurze Episode mit Bild meiner Entdeckung des Künstlers findet sich in einem alten Blogartikel von 2014.
  • Wer es nicht in die Ausstellung schafft: Der dort gezeigte Film über den nicht immer einfachen Künstler (auch von 2014), findet sich auf youtube: Ich bin die Gnade Gottes

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2 Kommentare

  1. Sehr schöne Fotos. liebe Dagmar. Horst Janssen ist einer meiner Lieblingskünstler. Und komisch: Als junge Frau mochte ich ihn überhaupt nicht. Erst viel später hab ich seine Kunst schätzen und lieben gelernt. Inzwischen stehen etliche Bücher zu seinen Arbeiten in meinem Regal. Übrigens eine schöne Idee, Ausstellungsbesuche zu verbloggen.

    Antworten
    • Danke, liebe Constanze. Ja, Horst Janssen war einfach ein grandioser Künstler. Ich schreibe gern über Kunst mit all ihren Facetten, deshalb auch hin und wieder mal über Ausstellungsbesuche. Leider finde ich nicht immer dazu Zeit …

      Antworten

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