Im Gespräch über die Kunst. Heute: Felix aus Wien

von | 1. Januar 2022 | Im Gespräch

kunstreiche im Gespräch Mit Kunst leben Felix

Felix Haspel kenne ich schon länger als er mich. Um genau zu sein, habe ich zuerst seine Kunst entdeckt, auf der Art Karlsruhe 2018. Ich fand seine Skulpturen ungewöhnlich, hatte mir seine Kontaktdaten notiert und wollte ihn für die Skulptura in Wasserburg vorschlagen. Doch die Plätze waren alle schon belegt. Ein Jahr später plante unser Kunstverein eine Ausstellung zum Thema „Aquarell zeitgenössisch“ – da fiel mir ein, dass er auch ganz wunderbare Aquarelle malt. Eigentlich dachten wir, er sei „zu groß“ für unseren kleinen Verein, doch eine unserer Kuratorinnen fasste sich trotzdem ein Herz. Wie beglückt wir waren, dass Felix zusagte, weiß ich noch ganz genau. Als ich ihn dann persönlich kennenlernen durfte, bestätigte sich mal wieder meine Wahrnehmung: Menschen, die Kunst machen, die mich berührt, sprechen mich auch als Mensch an.

Lieber Felix, ich freue mich sehr, dass du mit mir ein Gespräch über die Kunst und das Leben führst. Es gibt so viel, was ich dich fragen möchte, ich finde es gar nicht so einfach, mich für einen Anfang zu entscheiden.

Du bietest eine unglaubliche Schaffensvielfalt. Du bist Maler und Aquarellist, fertigst Skulpturen und Lichtobjekte, siehst dich als Textilkünstler. Seit vielen Jahren bereist du regelmäßig die Wüste und realisierst dort auch Land-Art-Projekte.

Hast du einen künstlerischen Schwerpunkt?  

Allem voran danke dafür, dass dich meine künstlerische Position interessiert. Aus heutiger Sicht sehe ich meinen künstlerischen Schwerpunkt sehr vielschichtig: einerseits Artefakte menschlichen Tuns in einen neuen Kontext zu setzen – dies vor allem in meinen Skulpturen –, andererseits die Auseinandersetzung mit Landschaft, Architektur und das Einwirken des Menschen darin. Derzeit setze ich mich mit einer Vielzahl von Themenstellungen in allen möglichen Techniken auseinander.

Für mich liegt ein wichtiger Schwerpunkt in der künstlerischen Ausdrucksform der textilen Erzählsprache, die sich über viele meiner angewendeten Techniken erstreckt. Diese Sprache mit all ihren vielfältigen Facetten hat sich immer stärker entwickelt und für meine künstlerische Position aktuell als sehr probat herauskristallisiert.

Felix, du hast Malerei, Glasmalerei und Textilkunst an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien sowie der Akademie der bildenden Künste in Wien studiert. Das heißt, du hast von Anfang an ganz verschiedene Techniken, Kunstrichtungen, Materialien zusammengedacht. Weißt du, woher diese Herangehensweise kommt, dieser Wille, unterschiedliche Dinge zusammenzubringen?

Woher kommt deine künstlerische Vielfalt?

Durch mein Leben mit der Kunst habe ich verschiedenste Techniken kennengelernt und mir angeeignet. So bin ich in der glücklichen Lage, aus diesem Fundus schöpfen zu können. Insofern ist diese Vielfalt Ausdruck meiner künstlerischen Potenz. Verschiedene Techniken bieten jeweils adäquate Möglichkeiten, Ideen in unterschiedlichsten Ausdrucksformen zu realisieren. Das ist mir sehr wichtig.

Oh ja, das kenne ich auch. Deshalb experimentiere ich auch immer mit neuen Techniken. Ich versuche Möglichkeiten auszuloten, um für bestimmte Dinge, die ich ausdrücken will, eine passende Umsetzung zu finden, die genau dafür passt.

Hat Kunst in deiner Kindheit schon eine Rolle gespielt?

Abgesehen davon, dass mein Vater, zwar nicht in seinem Hauptberuf aber doch Künstler war, und meine Mutter , wenn sie etwas Pause von unserer Geschwisterschar brauchte, mich gebeten hatte, ihr doch etwas zu zeichnen… nein. ;-) In meiner ganzen Familie über mehrere Generationen hinweg ist eindeutig die kreative und künstlerische Tendenz zu spüren.

Mit 15 Jahren begann ich die Ausbildung zum Textildesigner an der Höheren Lehr- und Versuchsanstalt für Textilindustrie. Das hat den späteren Zugang zur Tapisserieweberei bereitet.

Auf deiner Webseite findet man auch ein Video, in dem du zeigst, wie eine deiner wunderbaren Tapisserie-Arbeiten entsteht – etwas, was ich vorher noch nie zu Gesicht bekommen habe. Spannend finde ich, dass man den Ausgangspunkt sieht – ein Aquarell, was bestimmt auf einer deiner Wüstenreisen entstanden ist. Und dann kann man verfolgen, wie du diese Inspiration weiterdenkst und in eine andere Form und Größe bringst. Abgesehen davon, dass ich deine Geduld bewundere, frage ich mich, ob das immer so abläuft.

Erzählst du ein bisschen, wie deine Webkunst entsteht, wie die Arbeitsschritte sind?

Vorweg: Besondere Geduld braucht man für die Arbeit an einer Tapisserie keine! Hingegen sind großes Durchhaltevermögen und Disziplin äußerst wichtig und hilfreich, wenn man über den längeren Zeitraum, den diese Arbeit braucht, vorankommen will.

Am Ausgangspunkt steht das Thema der Tapisserie, skizziert in Form eines Aquarells, einer Zeichnung oder einer Collage, egal welche Technik. Dieser Entwurf legt die Grundzüge der entstehenden Arbeit fest und ist auch gegebenenfalls die Übereinkommenserklärung zwischen Auftraggeber:in und mir.

Wenn zum Beispiel ein derartiger Auftrag für eine Tapisserie gegeben wird, ist der Ablauf in etwa so: Besichtigung der Platzes/Raumes, wo das Werk in Zukunft hängen soll. Entwicklung eines Entwurfes, Festlegung der Größe der Tapisserie, Vorbereitung des Webstuhls, Färben der Wolle, Zeichnung eines 1:1 Kartons als Grundlage für den Webprozess. Erst dann beginne ich mit der freien Umsetzung des Entwurfes in ein gewebtes Bild.  Ich bezeichne es gern als „wie mit Wolle gemalt“, denn nichts anderes als mit Wolle zu malen ist die Tapisserieweberei!

Felix bei der Arbeit an einer Tapisserie (Foto Felix Haspel)

In einem deiner Videos gibst du auch Informationen zum Material – etwa dass pro Quadratmeter fast 6 Millionen Einzelfadenverkreuzungen entstehen oder rund 4.000 Farbtöne zu unterschiedlichen Webfäden zusammengemischt werden. Offensichtlich wird die Merinowolle speziell gefärbt für das, was du umsetzen willst.

Woher weißt du denn, wie viel Wolle du pro Farbe für ein Bild brauchst?

Als erstes wird der Fundus an bestehenden Wollfarben herangezogen, dann lege ich fest, welche Farben ich noch zusätzlich färben muss. Natürlich wird nicht nur eine so geringe Menge an Wolle gefärbt, wie ich wahrscheinlich brauchen werde, sondern immer ein ganzer Wollstrang. Dazu noch begleitend Abschattierungen dieser Farben, wie z.B. heller, dunkler, kälter, wärmer und davon möglichst viele Nuancen und so weiter.

In dieser Phase ist die Erfahrung, die ich mir in den über fünfzig Jahren Tapisseriewebens erarbeitet habe, von enormem Vorteil. Dabei überlege ich mir, wie ich die Arbeit angehe, ich konzipiere, denke vorausschauend und lege schon einiges fest, noch bevor ich zu weben beginne. Das heißt, ich habe dabei die gesamte Tapisserie vor Augen. Später, während des Webens, wenn dann noch Bedarf an neuen Farben entsteht, färbe ich noch Wolle nach!

Ich finde es total faszinierend, wie viele Farbtöne du einsetzt. Vermutlich sehen die Werke auch deshalb aus wie gemalt. Die fertigen Arbeiten sind ja sehr groß. Also nichts, wofür man in einem normalen Wohnhaus ausreichend Platz hätte. Und vermutlich stecken da auch viel mehr Stunden Arbeit drin als in einem gemalten Bild ähnlicher Größe. Da bin ich schon ein bisschen neugierig – wer erwirbt denn solche Werke?

Für wen machst du deine Tapisserien?

Kleinere Formate finden durchaus Platz in ganz normalen Räumen etwa über Kommoden, Sitzgarnituren oder Anrichten. Wie eben andere größere Bilder auch. Meine Auftraggeber und Auftraggeberinnen sind ganz unterschiedlich. Ob in privaten Wohnräumen, Repräsentationsräumen oder in öffentlichen Bereichen, eines vereint sie alle, nämlich die Faszination für diese Art von Kunstwerk, für diese alte Webtechnik, für die Leuchtkraft der Farben und die Einzigartigkeit dieser Technik.

Der Zeitaufwand für eine Tapisserie ist natürlich wirklich sehr groß – im Schnitt mindestens ein halbes bis dreiviertel Jahr für eine Größe von etwa 4 qm bei intensiver Zuwendung, also 8–10 Stunden täglich. Um während des gesamten Arbeitsprozesses das Tapisseriewerk vor Augen zu haben, braucht es Kontinuität und Durchhaltevermögen.

Tapisserie „Maghreb“ (135×170 cm, 2019) (Foto Felix Haspel)

Unglaublich, wie viel Lebenszeit in solch einem Werk steckt. Ich würde dazu gern noch mehr wissen, möchte aber mit dir auch noch über deine andere Kunst sprechen. Deine Skulpturen haben eine textile Anmutung, und das, obwohl sie aus harten Materialien wie Eisen oder Stein entstehen. Und du schreibst ja auch, dass du dich als Textilkünstler siehst, selbst bei deinen Skulpturen.

Wieso beschreibst du dich als Textilkünstler und wieso ist dir das so wichtig?

Für mich ist der Begriff Textilkunst ein sehr weiter! Es geht mir dabei nicht nur um das Material des Textilen, das von der Gesellschaft oft fälschlicherweise nur mit organischen und anorganischen Fasern und Fäden in Verbindung gebracht wird. Das Textile hat noch viele andere Qualitäten und Eigenschaften und ich will es nicht nur auf das Material beschränkt sehen.

links: Shot I (durchgeschossener Stahl/Niro/Eisen), rechts: Lava Porsche (Porscheblech, Stein), (Fotos Felicitas Matern)

Nur um ein Beispiel zu nennen, es gibt ja auch die Sinneserfahrung der Haptik. Die textile Form meiner Skulpturen sehe ich genauso als textiles Element. Das überrascht die Rezipienten oft. Ich setze mich bei der Arbeit an meinen Skulpturen mit diversen gesellschaftlichen Themen auseinander. Beim Realisieren einer Skulptur mache ich diese Auseinandersetzung sichtbar und begreifbar im wahrsten Sinne des Wortes.

Verschiedene Sinne ansprechen – ich finde, das ich eine wunderbare Aufgabe beim künstlerischen Schaffen. Mir ging es auch so beim Anschauen deiner, teilweise ungewöhnlich großen Aquarelle bei unserer Ausstellung im Kunstbahnhof (KUBA). Da hatte ich fast das Gefühl, den Wüstensand unter meinen Füßen und die Hitze der Sonne auf meiner Haut zu spüren.

Was fasziniert dich an der Technik des Aquarellierens? Denkst du beim Malen schon die Umsetzung in Webkunst mit?

Diese hier angesprochene Verbindung meiner Entwürfe für Tapisserien und meiner Aquarellmalerei zum Thema Horizont, Landschaft und natürlich auch der Wüstengebiete ist vor allem den gezeigten Arbeiten aus dem Zyklus Maghreb in dieser Ausstellung im KUBA und den damals gerade aktuellen Tapisserien geschuldet. Es gibt bei meinen realisierten Tapisserien viele Themen. Ein Spektrum davon ist eben das weite Thema Wüste, Architektur und das menschlichen Einwirken in diese Bereiche.

Zusammengefasst: Die spontane Aquarellmalerei an sich ist für mich das eine, Entwürfe für Tapisserien etwas anderes. Es besteht keine zwingende Verbindung zwischen diesen beiden sehr unterschiedlichen Techniken. Beim Aquarell geht es um eine unmittelbare Umsetzung eines Impulses. Bei der Tapisserie geht es hingegen um ein eher planerischeres Vorgehen, wobei der Vorgang des Webens (des Malens mit Wolle) ein sich ständig wandelnder und lebendiger Prozess ist.

Aquarelle von Felix, die 2019 im Kunstbahnhof Wasserburg gezeigt wurden (Foto Felix Haspel)

Du hattest lange an der Akademie der bildenden Künste für Web- und Textilkunst gelehrt, dort auch etliche Jahre eine Professur inne. Bei unserem Zusammensitzen nach der Vernissage hattest du auch von Projekten und Reisen mit deinen Studierenden erzählt. Sehr beeindruckt hat mich dabei dein Einfallsreichtum, wenn es darum ging, angedachte Projekte auch wirklich umzusetzen. Oft hapert es gerade an finanziellen Mitteln und du hattest immer kreative Ideen. Magst du ein bisschen davon erzählen?

Wie hast du es immer wieder geschafft, trotz knapper Finanzen Kunstprojekte umzusetzen?

Kreativität ist beim Anpeilen solcher und auch anderer, oftmals schwieriger Ziele unerlässlich. Dort, wo sich scheinbar mächtige Hindernisse in den Weg stellen, beginnt es doch erst recht herausfordernd und spannend zu werden.

Das angesprochene Projekt – eine Reise in die Wüste, um dort Land-Art-Projekte zu erschaffen – beinhaltete alle klassischen Facetten eines Kunstprojekts wie Finanzierung, Umsetzung und die Kreativität, auch ungewöhnliche Wege zu gehen. Das war genauso gedacht und war für die Studierenden ein wichtiger Lernprozess.

Gute Freunde von uns hatten sich in der Ausstellung in Wasserburg in deine Bilder verliebt. Zuerst haben sie einen Kunstdruck erworben, dann entschieden, dass sie einen „richtigen Haspel“ wollen, ein wunderbares Wüsten-Diptychon. Abgesehen davon, dass ich sie nun noch lieber besuche als eh schon, fand ich es total witzig, dass sie nicht nur das Bild bei dir in deinem Atelier in Wien angeschaut und erworben (und dazu noch ein nettes Beisammensein bei dir gewonnen) haben. Sondern, dass du etwas später sogar die Bilder persönlich an den Bodensee gebracht und beim Aufhängen geholfen hast.

Felix hilft beim Aufhängen seiner Bilder (Foto Karin Hund)

Schaust du gern, wo deine Werke landen?

Ja, schon. Das gilt für alle meine Werke. Ganz besonders bei den großen Bildern und bei den Tapisserien, in denen ja sehr viel meiner Lebenszeit und Energie steckt. Manchmal entsteht eine sehr gute Beziehung zu den Besitzern, oftmals sogar Freundschaften.

Für jeden Kunstschaffenden gehört Kunst zum Alltag, zum Leben. Und doch bedeutet sie für jede:n etwas anderes. Wie ist das bei dir?

Was bedeutet Kunst für dich?

Was Kunst für mich bedeutet, lässt sich in einer kurzen Antwort nicht so leicht sagen. Was Kunst für uns Menschen, für unsere Gesellschaft, für unsere Spiritualität und somit unser Mensch-Sein bedeutet, ist jedenfalls unermesslich, da bin ich mir sicher, und jedem sei es empfohlen, darüber nachzudenken.

Umgibst du dich auch mit Kunst von anderen Künstler:innen?

Ich „umgebe“ mich nicht mit Kunstwerken, aber ich besitze einige wenige Arbeiten von Künstlerkollegen, die mir von Bedeutung sind.

Noch eine Frage zum Schluss: Ist das eigentlich Zufall, dass dein Nachname auch in einem Teilschritt der Webkunst auftaucht, nämlich in AbHASPELn, also dem Abwickeln der Wollstränge auf Spulen?

Reiner Zufall! Aber zugegeben, mein Name nach der „Haspel“, einem Gerät, auf der man Wolle, Fäden aller Art und auch Draht aufwickelt, könnte ja fast ein Künstlername sein. Nicht sehr einfallsreich, aber doch.

Lieber Felix, ich freue mich sehr, dass du in diesem Jahr dann auch bei der Skulptura in Wasserburg ausstellen wirst und wir uns im Mai wiedersehen. Hab von Herzen Dank für den Einblick in deine Kunst und die Gedanken dazu. Besonders diesen hier könnte man endlos fortspinnen:

„Was Kunst für unser Mensch-Sein bedeutet, ist jedenfalls unermesslich. Und jedem sei es empfohlen, darüber nachzudenken.“


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2 Kommentare

  1. Wie hoch erfreut bin ich über dieses neue Gespräch. Felix und Dagmar, zwei sehr von mir wertgeschätzte Menschen und Künstler. Ihre Kunst ist für mich etwas Besonderes. Einmal das Natur malen, diese Weite in den Bildern, die Offenheit, die auch meinem Schauen soviel Raum lässt. Dann Webbilder, ein Medium, das Wärme in mir erzeugt. Eine archaisch anmutende Form des Ausdrucks, sehr gekonnt modern umgesetzt. Das beeindruckt mich. In einer Zeit wo Schnelle oft eine zu grosse Rolle spielt, webt Felix Stunde um Stunde, seine Bilder. Das ist eine enorme Qualität.
    Dieses Kunstgespräch ist wieder einmal bereichernd gut. Dagmar, dein Sprachtalent kommt sehr gut an bei mir. Gratuliere.

    Antworten
    • Liebe Christa,
      ich freue mich über deinen wunderbaren, so wertschätzenden Kommentar. Und darüber, dass ich mit meinen Gesprächen nicht nur mir, sondern auch anderen eine Freude machen kann. Hab vielen Dank für dein wertvolles Feedback. Ich fühle mich beschenkt.

      Antworten

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