Ich bin einfach nicht zum Smalltalk geboren. Ich nehme Fragen ernst und kann deshalb nicht mal eben mit einer hingeworfenen Antwort in ein Gespräch einsteigen. Diese Frage nach meiner Karriere hat mich jedenfalls kalt erwischt. Alle am Tisch schauten mich erwartungsvoll an. Die Antwort, zu der ich mich nach kurzem Schweigen durchringen konnte „Es ist komplex“, erntete Lacher. Obwohl es mir sehr ernst damit war.
Manchmal habe ich das Gefühl, in einer anderen Welt zu leben. Einfache Fragen, vermutlich sogar aus wirklichem Interesse gestellt und mir fällt keine vernünftige Antwort ein. Stattdessen geht mir das Thema nicht mehr aus dem Kopf, ich wälze es hin und her, beleuchte es von allen Seiten. Was bitte, wäre hier eine passende Replik gewesen? Keine Ahnung. Das wenig später nachgeschobene Gesprächsangebot „Und, welches Bild malst du gerade?“ trug dann auch nicht gerade zu meiner Entspannung bei.
Karriere?!
Die große Hürde: die Frage nach der Karriere. Ich habe noch nie jemanden gefragt, wie es mit seiner Karriere bestellt ist oder ob er von seinem Job die Familie ernähren kann. Ich erkundige mich, was genau und wie sie/er arbeitet, ob das Freude macht, was die Herausforderungen sind – solche Sachen eben. Oft lerne ich dabei etwas dazu, höre von Dingen, über die ich noch nie nachgedacht habe. Und finde Anknüpfungspunkte für weitere Fragen oder Dialoge.
Aber die Frage nach der Karriere? Da wäre zu klären, was mit diesem Begriff überhaupt genau gemeint ist. Und wieso ist das wichtig? Ist mir persönlich überhaupt wichtig, Karriere zu machen? Eigentlich wäre das ein guter Gesprächseinstieg gewesen: Die Frage „Was bedeutet das denn für dich, eine Karriere als Künstlerin?“ zurückzugeben. Aber so schnell bin ich leider nicht mit dem Umschalten.
Punkte, die mit einer Karriere in der Kunst korrelieren
Also versuche ich, diese Frage, was eine Kunstkarriere kennzeichnen könnte, jetzt mit ein bisschen Abstand zu beantworten. Grundsätzlich gehört das Kunstschaffen genauso dazu wie das Präsentieren und (Selbst-)Vermarkten der Werke. Im Folgenden einige Aspekte. Ich versuche dabei, den Status quo im Kunstmarkt zu beschreiben, der sich nicht immer mit meiner persönlichen Meinung deckt.
- Sichtbarkeit: Der Begriff Karriere könnte bedeuten, bekannt zu werden. In einschlägigen Presseartikeln zu erscheinen, in Kunst- und Literaturzeitschriften, Film-Dokus oder in Blogs und anderen Online-Publikationen. Die Hierarchien: von lokal zu regional, zu überregional oder sogar international.
- Ausstellungen: Karriere in der Kunst zeigt sich in einer spannenden Ausstellungsvita. Wie bei der Presse gilt auch hier: je breiter gestreut, desto besser. International schlägt lokal. Galerien sind karrierefördernder als Restaurants und Blumenläden, Museen besser als Kunstvereine. Einzelausstellungen werden höherwertiger eingestuft als Ausstellungen zusammen mit anderen Künstler:innen; eine Ausstellung mit vielen Teilnehmenden ist in der Regel am wenigsten karrierefördernd. Nicht jurierte Ausstellungen werden oft als weniger wertig empfunden.
- Kunstmessen: Dieses Thema ist nah verwandt mit den Ausstellungen. Je größer und hochkarätiger die Messe, desto mehr zeigt der Karrierindikator auf grün. Produzentenmessen, bei denen die Kunstschaffenden selbst hinter den Ständen stehen, werden weniger hoch gewertet, als wenn man als Künstler:in von einer Galerie vertreten wird. Deren Renommee zeigt sich im Ort und der Zahl ihrer Niederlassungen und darin, welche Künstler sie im Portfolio haben. Auf einer Art Basel etwa finden sich nur Galerien mit einem großes Portemonnaie – schließlich müssen die exorbitanten Standmieten bezahlt werden. Entsprechend hoch werden auch die vertretenen Kunstschaffenden gehandelt.
- Kunstpreise: Egal ob mit einem Preisgeld dotiert oder nur mit einem freundlichen Händedruck und PR-Meldung bedacht: Preise sind auch eine Art Qualitätssiegel. Wie bei jurierten Ausstellungen zeigen sie, dass eine unabhängige Jury entschieden hat, dass ein Werk in einem bestimmten Kontext besser ist als alle anderen. Oft korreliert die Höhe des Preisgeldes mit dem Bekanntheitsgrad und auch der Wertigkeit in Bezug auf die Karriere. Publikumspreise oder Online-Abstimmungen sind – zumindest aus Sicht der Profis – eher weniger „wert“, da sie einen Publikumsgeschmack abbilden und oft statt von der Qualität der Kunst von der Beliebtheit des Kunstschaffenden (oder seiner Vernetzung) abhängen.
- Gewonnene Ausschreibungen: Bestimmte Projekte werden (öffentlich) ausgeschrieben, etwa für Kunst am Bau. Dabei zu den Finalisten zu gehören oder sogar den Zuschlag zu gewinnen, kommt der Karriere zugute.
- Einladungen zu Artist Residencies: Auch hier gilt, dass das Angebot geringer ist als die Nachfrage. Schafft man es also, einen der begehrten Plätze zu ergattern, zeigt das den Wert der eigenen Kunst. Dabei wird eher das Gesamtwerk (Œuvre) oder eine Projektidee im Kontext mit dem Œuvre bewertet. Je begehrter und bekannter die Residency, desto höher ihre Wertigkeit.
- Zunehmende Sichtbarkeit im Internet: mehr Webseitenbesuche, Newsletter-Abonnenten, Follower auf Instagram, Facebook, Pinterest, Youtube… All diese Dinge sind freiwillig, zeugen also von Interesse für die geteilten Inhalte.
- Preissteigerung: Mit dem Bekanntheitsgrad steigen die Preise für die Kunstwerke. Und damit womöglich die Begehrlichkeiten bei potenziellen Kunden, auch ein Bild haben zu wollen.
- Verkäufe: Ganz profan kann eine Kunstkarriere korreliert werden mit der Anzahl der Menschen, die die Werke kaufen. Und es damit ermöglichen, die Ateliermiete, Produktionskosten und Lebenshaltung zu finanzieren. Im besten Fall auch mehr.
- Expert:innenstatus: Einladungen zu Vorträgen, Interviews, Ausstellungen, Bitte um Rezensionen, Angebote von Lehrtätigkeiten. Auch das kann zu einer Karriere als Künstlerin gehören.
All diese Punkte bedingen sich gegenseitig. Das Dumme ist nur, dass sie trotzdem nicht immer und alle zutreffen. So kann in der Außenwahrnehmung Erfolg und Karriere vorhanden sein, obwohl die unbezahlten Rechnungen einen traurigen Stapel auf dem Schreibtisch bilden. Bis hin zu dem Punkt, dass man sich trotz wachsender Sichtbarkeit, zunehmender Ausstellungstätigkeit usw. fragt, ob man nicht statt Kunst zu machen wieder einen Nine-to-Five-Job mit regelmäßiger Bezahlung annehmen sollte. Das geht mir so, das geht anderen Kunstschaffenden so. Ehrlich gesagt habe ich noch immer keine Lösung, trotz intensiver Suche. Wer also Ideen hat, sei hiermit herzlich eingeladen, diese zu teilen.
Mit Kunst Geld verdienen
Ich vermute, dass viele, die nach Karriere und Kunst fragen, vor allem meinen, ob man damit Geld verdient. Falls das Einkommen durch den Kunstverkauf nicht ausreicht, lässt sich überlegen, ob man als Künstlerin in der großen Welt des Kunstmarkt seine Brötchen mit anderen Tätigkeiten als dem aktiven künstlerischen Schaffen verdienen kann. Viele Kunstschaffende geben Kurse oder Unterricht offline und online, oft freibruflich, aber auch als Angestellte. Kulturnahe Jobs gibt es etliche, etwa in Galerien und Museen, bei Auktionshäusern und Versicherern, in der Kunstvermittlung und -vermarktung, in der Therapie und im Design. Allerdings konkurriert man dabei mit anderen Profis, etwa Kunsthistorikern, Psychologen, Designern, Juristen, Ökonomen und anderen Geisteswissenschaftlern. Und letztlich ist es vielleicht nicht das, was man primär tun möchte.
Verbessern der künstlerischen Fähigkeiten
Auch wenn das gemeinhin vermutlich nicht direkt mit dem Begriff Karriere assoziert wird, ist es für mich ein enorm wichtiger Aspekt: Ich muss mich ständig weiterentwickeln, mein Wissen, Können und mein technisches Repertoire erweitern, neue kreative Ansätze finden. Eine künstlerische Karriere ist für mich mein persönliches Weiterkommen und weniger meine Positionierung im Vergleich zum Rest der Welt.
Arbeit und Kunst?
Die gestellte Frage hätte auch lauten können: „Und, wie ist sie so, die Arbeit als Künstlerin“? Auch diese Antwort wäre komplex gewesen, mir aber sicher leichter gefallen. Da hätte ich schon mal „vielfältig“ sagen und dann die Details, was alles zur Arbeit und damit zum Leben einer Künstlerin dazu gehört, ausbreiten können. Wir hätten darüber sprechen können, worin die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu anderen Berufen liegen, ob sich Arbeit und Leben als Kunstschaffende überhaupt trennen lassen, was mir besonders leicht oder schwer fällt. Über Herausforderungen, Stolpersteine und Erfolgserlebnisse. Über das, was jede erfüllende, professionelle Arbeit ausmacht.
Die Frage, was meine Karriere als Künstlerin so macht, kann ich noch immer nicht beantworten. Und die, an welchem Bild ich gerade arbeite, auch nicht. Ich arbeite nämlich an vielen gleichzeitig. Und halte daneben – wie alle Selbständigen – noch zahlreiche andere Bälle in der Luft.
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Links
- Wie sie so ist, die Arbeit als Künstlerin, darüber habe ich bereits ausführlich nachgedacht. Wenn mir also im Gespräch gar nichts einfällt, kann ich auf diesen Blogartikel verweisen: Was macht eine Künstlerin eigentlich den ganzen Tag?
- Tipps, was man alles so machen kann, um mit seiner Kunst Geld zu verdienen, gibt es viele: Mach doch mal was Provokantes! Von der Kunst, bei sich zu bleiben
- Nachdem der Artikel fertig war, bin ich nochmal in den Weiten des Internets gesurft. Dabei habe ich einen passenden Artikel im SPIEGEl gefunden: Ich bin Künstlerin, wie werde ich entdeckt?
- Ein ganzer Strauß an Ideen, womit ein Kunstschaffender seine Brötchen verdienen kann (in Englisch): https://www.studentartguide.com/articles/art-careers-list
Liebe Dagmar, wieder ganz wunderbar, informativ, beleuchtend von vielen Seiten geschrieben. Du gehst mit einer Frage seitenlang, und wie ich vermute auch tagelang, in die Tiefe und schaffst es, mich mitzunehmen.
Das Thema ist mir nicht unbekannt. Weniger die Frage der Karriere als die Fragen die ich nicht so einfach, schnell beantworten kann. Oder will. Das ist ja ein Unterschied.
Beispiel: eine mir bekannte Person, keine Freundin, fragt mich: Wie geht es dir? Will ich ihr meinen Seelenzustand, mein Befinden wirklich sagen? Eindeutig, Nein. Umgangen mit einem schnellen: Gut. Wissen wir immer wie es uns gerade geht? Wollen wir das teilen? Mit wem?
Manches braucht Zeit, zu fühlen, nachzudenken, zu entscheiden, in der Tiefe umzuwälzen, abzuwägen…. Wie viel Worte wir dafür haben!
Deine Worte, liebe Dagmar, sind mir ein Geschenk.
Freue mich schon auf den nächsten Beitrag von dir.
Liebe Christa, wie so oft, sind deine Kommentare eine bereichernde Ergänzung meiner Blogartikel. Das Stillwerden auf Fragen – welcher Art auch immer – ist vermutlich ein Thema vieler Menschen, die den schnellen, oberflächlichen Schlagabtausch scheuen. Es ist nicht schlimm, intensivere Gesrpäche zu bevorzugen, doch den plätschernden Smalltalk zu beherrschen, macht das Leben manchmal einfacher :-)