Mein Herzensmensch macht sich oft Gedanken, wie er mir dabei helfen kann, dass ich nicht mehr zu den Heerscharen der Kunstschaffenden in finanziell prekärer Lage gehöre. Seine Vorschläge sind häufig seltsam, lösen zunächst eine Abwehrhaltung aus. Dann aber bringen sie mich zum Nachdenken über die Kunst, das Leben und den Kunstmarkt. Sie lindern selten meine Geldsorgen, aber helfen mir, anders und neu zu sehen oder manches besser zu verstehen. Ab und zu gelingt es mir danach, mich klarer abzugrenzen. Und darüber wiederum schreibe ich dann manchmal einen Blogartikel.
- Mit Kunst provozieren?
- Gefällige Kunst ist auch nicht schlecht
- Wo fängt Kunst an?
- Mit Kunst zu leben, ist wie den richtigen Partner zu finden
Kürzlich diskutieren wir über das aktuelle Ausstellungsjahr, meine Bewerbungen, meine erfolgreichen und vor allem weniger erfolgreichen Aktionen. Und dann kommt folgender Satz: „Mach doch mal was Provokantes“.
Mit Kunst provozieren?
Kennen Sie das? Sie hören etwas und haben das Gefühl, ein Alien sei gelandet. Drei Beine (oder Arme?), Antennen, die Augen unten. Alles ist so fremd, dass Sie gar nicht wissen, wo Sie zuerst hingucken, geschweige denn, wie Sie reagieren sollen. Genauso geht es mir mit dieser Aussage: Fünf Wörter, die ein ganzes (fremdes) Universum aufspannen, bei dem ich nicht weiß, was ich zuerst anschauen soll:
- Der Inhalt: Was genau ist mit dem Wort provokant gemeint?
- Die Intention: Warum sollte ich etwas provokant machen? Überhaupt, wieso soll ich meine Kunst ändern?
- Das Ziel: Was will ich damit erreichen?
- Das Gefühl: Warum reagiere ich auf diese Frage so wie ich reagiere? Warum fühle ich mich damit so unbehaglich?
Bei der Diskussion stellt sich raus, dass mein Herzensmensch meint, etwas Provokantes sei ein Hingucker, mit dem ich mich von den Massen abgrenze. Dann würden mich mehr Leute sehen, die Presse würde häufiger über mich berichten und in der Folge mehr Menschen meine Kunst kaufen.
Sichtbarkeit ist gut, klar. Kunst braucht Menschen, die sie anschaut. Trotzdem bin ich ratlos: Ich mache überwiegend ruhige, vielschichtige Kunst, die sich erst auf dem zweiten Blick erschließt. Ich soll also etwas kreieren, bei dem bereits beim kurzen Hinschauen der Adrenalinpegel in die Höhe schießt? Um meinen Bekanntheitsgrad zu steigern?! Das ist wie zu einem Bäcker zu sagen, er soll doch jetzt mal ein paar Wochen Fleisch verkaufen, um auf sich aufmerksam zu machen.
Bei dieser Vorstellung muss ich nun lachen. Ich stelle mir vor, wie ich aus vom Metzger geholten Schweineblut und Innereien eine provokante Installation kreiere, am besten mit einer Selbstinszenierung kombiniert. Nein, das können Künstler:innen wie Marina Abramović oder Wolfgang Flatz besser und authentischer als ich.
Gefällige Kunst ist auch nicht schlecht
Ein andere Idee, ein paar Tage später: Ich solle doch gefälligere Kunst machen. Die könnte ich dann wie geschnitten Brot verkaufen und parallel meine „richtige Kunst“ kreieren, also die, die mir am Herzen liegt.
Mmh, da ist wieder ein Alien in meinem Garten gelandet. Zum einen finde ich nicht, dass meine Kunst besonders sperrig ist, auch wenn sie nicht Tomaten oder Äpfel realistisch abbildet (das habe ich als Jugendliche versucht und ganz gut beherrscht). Zum anderen ringe ich in den letzten Jahren doch genau darum: Mich von der realen Darstellung zu lösen und einen Weg zu finden, durch Abstrahieren Emotionen und meine Wahrnehmung der Welt in meine Bilder zu bringen. Und jetzt soll ich gefälliger werden (was auch immer das genau heißt – das hängt wohl auch vom Kunden ab), um breite Massen anzusprechen? Nee, sorry, das ist nicht meine Baustelle.
Wo fängt Kunst an?
Kunst beginnt aus meiner Sicht da, wo das Handwerk aufhört. Das Wissen um Techniken, Komposition, Kontraste, Farben ist das Fundament, keine Frage. Das muss stehen, um ein stabiles Gebäude zu errichten. Doch erst darauf wird das gebaut, was das Haus ausmacht. Dieses kann klein oder groß, zurückhaltend oder auffällig, traditionell oder futuristisch sein, neutral oder farbenfroh, aus Beton oder Holz. Als Architekt sollte ich wissen, wie die Materialien zusammenspielen, wie ich Leitungen führen muss und wo ich Stützen für die Statik brauche. Damit mein Haus kein 0815-Fertighaus wird, benötigt es jedoch noch Herzblut, eine besondere Idee, ein Gefühl.
Ich finde, dass Kunst etwas ist, was aus dem Innern der Künstlerin, des Künstlers kommt. Meine Kunst ist das, was sich für mich gut anfühlt. Es geht nicht darum, meinen Freunden zu gefallen, bei anderen Menschen Eindruck zu schinden oder bereits beim Kreieren daran zu denken, mein Werk verkäuflich zu gestalten.
Für mich bekommt Kunst dann eine Seele, wenn sie etwas von mir enthält. Und das tut sie nur, wenn sie mir etwas bedeutet, wenn sie auch in mir etwas anrührt. Ich muss während des Schaffens das Gefühl haben: „Ja, davon will ich mehr“, ich brauche Raum für Fehler, Experimente. Ich muss im Tun sein, statt primär an das Ergebnis zu denken. Sonst ist die Kunst herzlos, bestenfalls gutes Handwerk.
Es gibt viele Orte, an denen professionelle Bilder wie am Fließband erschaffen und beispielsweise in Möbelhäusern als günstige Originalkunst verkauft werden. Das ist völlig in Ordnung. Doch dagegen will ich nicht antreten.
Mit Kunst zu leben, ist wie den richtigen Partner zu finden
Während ich schreibe, kommt mir noch ein anderer Vergleich in den Sinn. Zu sagen „mach doch mal Kunst, die sich verkauft (die also provokant oder gefällig ist, je nachdem), ist ein bisschen so, wie wenn ich in einer Beziehung sage, mein Partner soll sich ändern, damit er zu mir passt. Das funktioniert nicht, oder?
Wenn es knirscht, ist es sinnlos, meinen Partner umstricken zu wollen. Stattdessen muss ich mich und meinen Umgang mit meinem Partner ändern. Oder ich muss mir einen anderen Menschen suchen, der mit meinen Erwartungen besser übereinstimmt.
Wenn ich also ein Bild sehe, was mir nicht gefällt, habe ich zwei Möglichkeiten: mich damit auseinanderzusetzen, um meine Meinung zu ändern, mich zu fragen, warum ich es nicht mag, was mir vielleicht doch gefallen könnte usw. Oder weiterzusuchen nach einem Werk, das mich direkt anspricht.
Oder umgekehrt: Wenn jemand meine Kunst erst dann kauft, wenn ich sie so angepasst habe, dass sie möglichst vielen Menschen gefällt (oder aus lauter Provokation in aller Munde ist), dann kauft der Kunde nicht „meine“ Kunst, sondern Kunsthandwerk ohne Seele. Das Werk mag zu seinem blauen Sofa passen und ein anerkennendes Nicken bei seinen Gästen auslösen. Aber ob es dann wirklich zu ihm spricht? So wenig ich in einer Beziehung nebeneinander her leben möchte, so wenig möchte ich mich mit einem seelenlosen Kunstwerk umgeben. Kunst muss mich berühren, ebenso wie Menschen. Und so wie mich nicht jeder nett finden muss, muss auch nicht jeder meine Kunst oder jedes meiner Kunstwerke mögen.
Ich finde es schön, dass mein Herzensmensch mir immer wieder Denkanstöße gibt. Aber in diesem Fall mag ich nicht auf ihn hören. Lieber mache ich die Kunst, die mir am Herzen liegt – weder provokant, noch gefällig.
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Ich freue mich: Mein neuer Katalog ist fertig.
Hier lässt er sich online durchblättern
PS: Beim nochmaligen Lesen des Textes fällt mir auf, dass man ihn auch als Plädoyer gegen Auftragsarbeiten verstehen könnte. Das ist keinesfalls so gemeint. Ich habe einige Künstlerkolleginnen, die großartige Auftragskunst machen und ich bewundere sie dafür, dass sie das können. Doch auch in diesen Bildern ist ein Stück von ihnen, ist ihre Seele enthalten.
Weitere Links:
- Der Entstehungsort meiner Leporellos: Aufatmen in meiner Künstler-Residence in Dornach
- Warum Kunst mehr braucht als gutes Handwerk – mein Blogartikel Kunst benötigt Können. Und eine Seele
- Wissen und Können ist wie ein gutes Fundament beim Hausbau. Hier gehts zum Artikel über Kunst und Komposition
- Während meines Intermedia-Studiums an der FH Vorarlberg hatte ich in einem Seminar das Vergnügen, Wolfgang Flatz als Dozenten zu haben. Er hat uns durch sein Museum in Dornbirn geführt. Hier ist meine sprachliche Auseinandersetzung damit als PDF aufrufbar (von 2010!)
In deinem Blog höre ich dich sprechen (und dieser Artikel hat mich wie im live Kontakt mit dir zum Lächeln gebracht). Anregend finde ich deinen Satz, dass Kunst dort beginnt, wo das Handwerk aufhört.
Und wenn ich deine Bilder betrachte, bekomme ich einen kleinen Eindruck von den vielen Schichten aus denen du bestehst.
Anregend, berührend. Danke
Liebe Carmen, jetzt hast du mir ein Lächeln ins Gesicht gezaubert. Wie schön, dass meine Texte und meine Kunst als „Dagmar“ zu dir sprechen. Hab 1000 Dank für dein Feedback.
Viele Aussagen in deinem Text kann ich nur unterstreichen. Für mich ist Malen ebenso Seelenarbeit wie Handarbeit, seltener Kopfarbeit. Kann ich es also trennen um zu provozieren oder gefällig sein zu wollen? Nein. Kunstwerke sprechen mit der Künstlerin oder nicht, sprechen mit mir als Betrachterin oder nicht. Deine Kunstarbeiten, liebe Dagmar, sprechen viele Töne bei mir an, leise, berührend, erkennende, still, belebend, anerkennend, Gefühle auslösend, wiedererkennen, rätselnd….Aber das wichtigste ist mir, sie sprechen, ich lausche, ich fühle.
Was wäre provokant in der Malerei für mich? Spontan fallen mir Paula Becker Modersohn ein, Frida Kahlo, die Spinne von Bourgeoise……alles nicht so wirklich sehr provokant.
Ja, und was wünscht man einer Künstlerin? Selbstfindung? Neuerfindung?
Was es auch immer sei, einige deiner Kunstwerke sind bei mir daheim und erfreuen mich immer wieder. Ich bin beschenkt mit ihnen.
Danke, liebe Christa. Unsere Kunst spricht zueinander wie auch wir miteinander sprechen. Ich bin stolz, Teil deines Alltags sein zu dürfen!