Geplant habe ich im Rahmen eines Netzwerktreffens in Frankfurt den Besuch der Niki-de-Saint-Phalle-Ausstellung in der Schirn. Nach deren Besuch schlendere ich noch durch die Stadt. Plötzlich stehe ich vor dem Museum für Moderne Kunst, ein Kuchenstück, eingekeilt im spitzen Winkel, der von zwei Straßen gebildet wird. Ein Blick durch die Glasfront auf das Innere und die Ausstellung – und ich entscheide spontan, hineinzugehen.
Immer wieder stelle ich fest, dass in meiner Allgemeinbildung große Lücken klaffen. Ja, ich kenne den Namen Rosemarie Trockel, ich weiß, dass sie eine deutsche Künstlerin von internationalem Rang ist. Sie war auf der Documenta X, hat Deutschland auf der Biennale in Venedig vertreten und in Museen wie dem MoMA in New York und dem Münchener Lenbachhaus ausgestellt. Aber ich gestehe: Über ihr Œuvre weiß ich herzlich wenig. Also: rein ins Museum, um es endlich kennenzulernen.
MMK – das Museumsgebäude
Zunächst bin ich überwältigt von der Architektur des Gebäudes. Durch den ungewöhnlichen Grundriss und die Gruppierung des Treppenhauses um das zentrale Oberlicht atmet es eine besondere Atmosphäre. Der Rhythmus im Inneren wird durch spannende Sichtachsen akzentuiert, die immer wieder von Durchbrüchen unterbrochen werden. Direktes wechselt mit indirektem Licht von oben und von den Seiten, auf einer Etage werden einige der sonst schlichten weißen Wände durch farbige ersetzt. Säulen und Rundungen sind ebenso vorhanden wie gerade, strenge Linien. Interessant. Und so prägnant, dass es für die Kunst durchaus eine Herausforderung sein kann, sich darin zu behaupten. Eins vorab: Rosemarie Trockel gelingt das mit ihren Werken mühelos.
Rosemarie Trockel: Ideen, Medien und Materialien in großer Vielfalt
Zeitgenössische Kunst ist oft sperrig, konzeptionell und intellektuell. Ohne entsprechende Vorbildung, dem Sich-Beschäftigen mit der/dem Kunstschaffenden und ihren/seinen Werken vorab oder eine Führung gelingt es nicht so ohne Weiteres, sich ihr zu nähern. Zwar drückt mir die Frau hinter der Kasse ein Booklet in die Hand, doch ich versuche, mich der Kunst Trockels ganz unbedarft und unvoreingenommen zu begegnen.
Was mich beeindruckt: die Vielfalt der Kunst. Auf den drei Etagen des Museums finden sich Fotografie und Malerei, Installationen, Assemblagen und Skulpturen, Video, Buchcover und Etliches dazwischen in verschiedensten Techniken, Größen, Materialien und Formen und offenbar unterschiedlichsten Themen. Die Entstehung mancher Werke reicht bis in die 70er Jahre zurück, andere hat Trockel extra für die Museumsräume geschaffen.
Die überwältigende Menge und die verbleibende Zeit bis zur Schließung des Hauses stehen in diametralem Gegensatz. Ich muss mich entscheiden: Mich auf einzelne Werke konzentrieren und diese genau anschauen oder einen eher schnellen, oberflächlichen Durchgang, um ein erstes Gefühl für Trockels Schaffen zu bekommen. Ich entscheide mich für Letzteres.
Eigensinnig wider den Strom
Viele der ausgestellten Werke Trockels erschließen sich mir bei meinem Schnelldurchgang nicht oder nur auf einer Ebene. Was mir auffällt: ihr kritischer Blick auf die Gesellschaft und die Geschlechterrollen. Humor. Eine gewisse Bissigkeit. Ein unkonventionelles Herangehen, oft auch unkonventionelle Themen bzw. eine ungewöhnliche Perspektive. Das Nutzen von Techniken und Materialien, die in sich schon die Kritik an Zuständen und Lebensumständen tragen – etwa die Strickbilder, bei denen die Fäden später nur noch aufgeklebt bzw. getackert statt konventionell verbunden werden, vielleicht ein Hinweis auf die sich ändernde Rolle der Frau hin zu mehr Selbstermächtigung. Oder die Herdplatten, die in ihrer ästhetisch ansprechenden Kompostion durchaus auch als minimalistische Objektkunst gelesen werden können. Gewalt und Missbrauch werden genauso thematisiert wie etwa der abwertende Umgang mit dem Alter, Sexualität, der Kunstbetrieb und die Globalisierung.
Verbindungen und Verortung
Trockel ist eine gebildete Künstlerin. Um die Implikationen einzelner Werke zu verstehen, bedarf es auch bei der /dem Betrachtenden Vorwissen. Erst dann erkennt man Marilyn Monroe und Arthur Miller, Franz Josef Strauß und Michel Houellebecq. Dann kann man die Anspielungen auf die Affenforscherin Jane Goodall, auf die Werke von Marcel Duchamps, Marquis de Sade, Ingeborg Bachmann und Franz Kafka verorten und die Verweise auf den Soziologen Niklas Luhmann und den Philosophen Martin Heidegger erkennen. Und selbst dann braucht man vermutlich ein Vielfaches an Zeit, um alle Facetten zu erfassen und sich deren Bedeutungen zu erschließen.
Doch aus meiner Sicht kann man sich der Kunst von Rosemarie Trockel auch ohne diesen intellektuellen Anspruch nähern. Vieles davon berührt mich, auf verschiedenen Ebenen, ohne dass ich genau sagen könnte, warum. Manches lässt mich schaudern und einiges lächeln. Und Manches lässt mich auch kalt. Eine gute Mischung, wie ich finde.
Wer mit Kunst außerhalb rein ästhetischer Erbauung etwas anfangen kann, ist hier richtig. Wohnte ich in der Nähe, würde ich die Ausstellung noch einmal mit einer Führung anschauen. Doch auch so habe ich einiges mitgenommen.
Rosemarie Trockel
Museum für Moderne Kunst (MMK) Frankfurt
10. Dezember 2022 bis 18. Juni 2023
Noch ein Tipp: Das Museum bietet auf seiner Internetseite die Texte auch in leichter Sprache an. Ich habe festgestellt, dass sich die Kunst so sehr gut erschließt. Einfach mal ausprobieren!
Links:
- Link zur entsprechenden Internetseite des Museums zur Ausstellung im MMK Frankfurt
- Damit Kunst wirken kann, ist ihre Platzierung wichtig. Hier geht es zu einem Blogartikel dazu: Wenn Kunst und Kuratierung trefflich zusammenspielen
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