Wenn Kunst und Kuratierung trefflich zusammenspielen

von | 8. September 2022 | Kunst erleben, Kunstwissen

kunstreiche Kunstwissen Kuratierung

Die Räume im Kunstbahnhof Wasserburg sind für Ausstellungen wunderbar geeignet. Doch auch die Galerie „Fähre“ in Bad Saulgau ist eine tolle Örtlichkeit für Kultur: schöne abwechslungsreiche Räume, wunderbares Licht. Die gezeigte Kunst ist spannend. Ich habe schon einige Ausstellungen dort besucht – und war jedes Mal begeistert. Das liegt sicher auch an der überzeugenden Kuratierung.

Im August war ich in der Ausstellung „Spielarten des Realismus“. Dort wurden sechs zeitgenössische Künstler:innen gezeigt, die einen interessanten Bogen aus unterschiedlichen Positionen der figürlich-gegenständlichen Kunst aufspannen. Das allein hätte gereicht, um einen genussvollen Spaziergang durch die ehemaligen Klosterräume und im Kreuzgang mit dem Lichthof zu ermöglichen. Doch was mir dieses Mal wieder besonders aufgefallen ist: Die Präsentation der Kunstwerke ist exzellent.

Was bedeutet eigentlich kuratieren?

Heute wird der Begriff „Kuratieren“ in verschiedensten Kontexten benutzt. Wie so häufig hilft das nicht unbedingt beim Verstehen, sondern verwässert die Bedeutung.  Manchmal reicht es schon, seine Social-Media-Profile zu pflegen, um sich als Kurator des eigenen Lebens und Marketings zu verstehen. 

Ich benutze diesen Begriff hier allerdings im engeren Sinn und bezogen auf die zeitgenössische Kunst. Ich verstehe darunter allgemein das Betreuen von Ausstellungen. Dazu gehört das Auswählen der Kunst und das Zusammenstellen verschiedener Positionen, die Überlegung, mit welchem Konzept, mit welchem roten Faden und auf welchem Weg die auszustellende Kunst vermittelt wird. Welche Künstler und welche Werke sollen gezeigt werden? Was soll die Kunst aussagen, was bei den Betrachtenden erreichen? Wie lässt sich die Kunst mit der Raum- und Lichtsituation von Einklang bringen?

Eine gute Kuratierung hat einen Plan. Sie schafft es, visuelle Bezüge herzustellen, neue Blickwinkel zu erschließen, den Fokus auf Dinge zu lenken, die sich ohne diese Kontext nicht auf den ersten Blick zeigen würden. Ein Kurator ist wie ein Dirigent, der die Idee hat, auf welche Art ein Musikstück interpretiert werden soll und wie die einzelnen Orchestermitglieder so miteinander spielen, dass die Menschen nach dem Konzert beglückt nach Hause gehen. Gute Kuratoren schaffen es sogar, mittelmäßige Kunst so zu präsentieren, dass sie bedeutend erscheint. Umgekehrt kann eine schlechte Kuratierung gute Kunst herabwürdigen. 

Ich verstehe ausdrücklich nicht darunter, dass Kunst immer wieder neu, modern, mit Sondereffekten und viel Drumherum gezeigt werden muss. Ganz im Gegenteil: Ich finde, dass gute Kunst es gar nicht nötig hat, durch innovative Vermarktungsstrategien und zeitgeistige Verpackungen künstlich aufgeladen zu werden. Stattdessen hat für mich Kuratierung eher eine dienende Funktion: Der Kunst einen möglichst angemessenen Rahmen zu geben, um sie bestmöglich zu vermitteln und begreifbar zu machen. Das ist wie in der Typografie: Bei der Gestaltung einer Buchseite und der Schriftwahl geht es nicht darum, das lauteste, ungewöhnlichste, neueste Konzept zu finden, das zeigt „hey, ich bin eine kreative Gestalterin“. Sondern das Konzept, was die Inhalte bestmöglich vermittelt, eine Schrift, die gut lesbar ist und die Aussage transportiert.

Kunst und Kommunikation

Als aktives Mitglied des Kunstvereins in Wasserburg habe ich auch selbst schon etliche kuratorische Aufgaben verantwortet. Ich habe Jurierungssitzungen beigewohnt, mit den anderen künstlerischen Beiräten über Bewerbungen diskutiert, sie verteidigt oder verworfen. Ich habe Ausstellungstitel gefunden, Künstler betreut und Ausstellungen gehängt. Und ich weiß, wie schwierig es manchmal ist, bei sehr unterschiedlichen Künstlern einen roten Faden zu finden und die Werke nicht nur angemessen zu platzieren, sondern auch spannend.

Werke ansprechend aufzuhängen, ist meist einfacher, wenn sie von einem Künstler stammen. Verbindende Elemente sind dann Technik, Farbwelten oder Inhalte. Ausstellungsansicht Dialog, Transformation, Stille, Wasserburg (eigene Werke)

Als Künstlerin habe ich meine Werke bei Ausstellungen schon in verschiedensten Örtlichkeiten gefunden – manchmal prominent gehängt, manchmal in einer dunklen Ecke. Oft haben sich die verschiedenen Kunstwerke befruchtet, in anderen Fällen aber auch gegenseitig den Platz streitig gemacht.

Als Kunstbetrachterin war ich schon in Ausstellungen, bei denen ich die Hängung gut, aber die Kunst schlecht fand – und umgekehrt. Letzteres ist eigentlich erschreckend häufig: Gute Kunst, die uninspiriert an Stellwände gehängt ist – ohne auf Blickhöhen zu achten, ohne Rhythmus, Weißräume und inhaltliche oder visuelle Bezüge. Im besten Fall lieblos, im schlimmsten Fall kontraproduktiv. Das ist dann wie ein toller Text, der auf schlechtem Papier, mit furchtbaren Trennungen, unpassender Schrift und löchrigem Satz gedruckt ist. Solche Geschichten zu lesen, ist extrem mühsam.

Unterschiedliche Werke und Techniken miteinander in Verbindung zu bringen – das ist hier wirklich wunderbar gelungen. Ausstellungsansicht Spielarten des Realismus, Bad Saulgau (Skulpturen: Birgit Feil, Gemälde: Volker Blumkowski, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

Kunst hängen und stellen

Die Räume, in denen Kunstwerke aufgehängt oder gestellt werden, spielen eine wichtige Rolle dafür, wie die Kunst wirkt und wahrgenommen wird. Die Werke treten mit dem sie umgebenden Raum und der sie umgehenden Kunst in einen Dialog – bevor sie mit dem Betrachter kommunizieren.

Jeweils zwei Frauenfiguren – mit und ohne Schuhen und Handschuhen. Stehend, sitzend, liegend, sich abwendend – die Positionen spielen eine wichtige Rolle. Rottöne als Akzente. Hier werden subtil zahlreiche visuelle und inhaltliche Verbindungen geschaffen und laden ein, hin und her zu blicken. Das funktioniert sogar trotz der eher störenden Tür. Ausstellungsansicht Spielarten des Realismus, Bad Saulgau (Skulpturen: Birgit Feil, Gemälde: Nicolas Schützinger, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

Ein Werk hängt nicht hermetisch für sich, sondern lenkt den Blick in andere Richtungen. Der Gast schaut nicht nur ein Werk an, sondern nimmt immer auch die Umgebung wahr. Eine gute Kuratierung vermag es, diese Blicke zu lenken, visuelle Brücken zu bauen. Sie kann helfen, neue Fragen zu stellen und es erleichtern, Antworten zu finden.

Häufig nicht beachtet, hier gekonnt genutzt: der Blick in andere Räume. Selbst der Mann im Bild scheint um die Ecke zu schauen. Ausstellungsansicht Spielarten des Realismus, Bad Saulgau (Gemälde: Volker Blumkowski, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

Was bei der Kuratierung eine Rolle spielt

Was eine gute Hängung (und damit meine ich nicht nur das Hängen von Bildern an die Wände, sondern auch das Befestigen anderer Werke, die Platzierung von Skulpturen etc.) ausmacht, ist nicht in wenigen Sätzen zu beantworten. Grundsätzlich gelten die Prinzipien, die für ein einzelnes Werk relevant sind, genauso für die Platzierung mehrerer Werke im Raum. Hier einige Impulse:

  • Eine inhaltliche Klammer ist meist bereits durch das Ausstellungskonzept gegeben. Das kann ein Thema wie „Sitzplatz“ sein oder eine Technik wie „Arbeiten mit Papier“. Solche Kategorien sind allerdings nur eine grobe Orientierung, gibt es doch so viele verschiedene stilistische Handschriften wie Kunstschaffende. Deshalb lassen sich die Inhalte weiter runterbrechen. Beim Thema Figuratives lassen sich Einteilungen wie Menschen, Stillleben, Architektur finden. Und diese dann noch weiter unterteilen, zum Beispiel in Details und Panoramaansichten.
  • Formate: Hoch, quer, quadratisch; klein, mittel, groß – streng auf Blickachse und Bildkanten gehängt oder frei gruppiert. Solche Aspekte spielen eine wichtige Rolle für die Gesamtwirkung, genau wie die Rahmen oder Positionierung der Werke, etwa auf Sockeln.
Eine Herausforderung: Kleine Bilder so zu hängen, dass sie präsent sind. Ausstellungsansicht Spielarten des Realismus, Bad Saulgau (Gemälde: Nicolas Schützinger, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022)
  • Komposition: Auch hier gibt es viele Möglichkeiten für einen Fokus – etwa Blickachsen, Bewegung und Rhythmus, Bildaufteilung, Platzierung der Bildelemente. Ähnlich komponierte Werke werden als harmonisch empfunden und schaffen Verbindungen, leiten den Blick weiter.
  • Farbe: So wie innerhalb eines Bildes Farben eingesetzt werden können, entfalten sie auch über mehrere Bilder hinweg ihre Wirkung im Raum. Vielleicht lässt sich das vergleichen mit den Farbtupfern bei Gemälden des Impressionismus und Pointillismus oder mit Pixeln, aus denen sich digitale Bilder zusammensetzen. Mit Abstand ergeben sie eine bestimmte Anmutung und ein anderes Bild als aus der Nähe betrachtet. Nicht zu vergessen: die Farbe der Wände. Ein Werk wirkt auf einer farbigen Wand anders als auf einer weißen oder schwarzen; ein grünes Bild leuchtet auf einem roten Hintergrund und verschwindet auf einer grünen Tapete.
  • Licht: Nicht in allen Ausstellungsräumen sind teure Galerielampen installiert, auch indirektes Oberlicht statt großer Fenster mit wechselnder Sonneneinstrahlung ist nicht immer vorhanden. Kunst in einem solchen Umfeld zu präsentieren, kann eine Herausforderung sein. Gute Kuratoren berücksichtigen auch die Lichtverhältnisse bei der Platzierung der Werke.
Bildinhalte, die beklemmend gut mit der Raum- und Lichtsituation zusammenpassen. Ausstellungsansicht Spielarten des Realismus, Bad Saulgau (Gemälde: Jiyun Cheon, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022)
  • Raumgröße: Große Bilder benötigen viel Raum, um sie auch mit Abstand anschauen zu können, Skulpturen oder Installationen brauchen Platz, damit man drumherum gehen kann. Kleine Bilder können in großen Räumen mit hohen Decken wiederum verloren wirken (oder besonders wertvoll). Kleine Räume können die Dramatik erhöhen: Stellen Sie sich ein Bild vor, was mit Ängsten, Beklemmungen, Gewaltassoziationen spielt und in einer klosterartigen Zelle hängt.
  • Durchblicke: Die Blicke des Betrachters schweifen nicht nur von Werk zu Werk, sondern gehen auch durch Türen und Durchgänge in die anderen Räume und durch Fenster nach außen. Auch dies gilt es, bei der Ausstellungskonzeption zu berücksichtigen.
Auch nicht so einfach, Werke in solch einer Raumsituation zu hängen: die Weite des Innenhofs und die relative Enge des Kreuzgangs. Unterschiedliches Licht, Ablenkung durch andere Objekte wie hier die Stühle und das Klavier. Durchblicke, die sich je nach Position des Betrachters schnell ändern. Ich finde, es ist gut gelungen. Ausstellungsansicht Spielarten des Realismus, Bad Saulgau (Gemälde: Nicolas Schützinger, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

Fazit

Dramatik oder Ruhe – beide Wirkungen sind möglich, unabhängig von den einzelnen Bildern in einer Ausstellung. Werden Werke mit ähnlichen Aspekten kombiniert, ergibt sich häufig ein ruhiger Gesamteindruck. Dadurch können zum Beispiel expressive Bilder ihre Wirkung sehr gut entfalten. Umgekehrt führen starke Unterschiede in der Hängung zu Dynamik und visuellen Spannungen – auch das kann eine gewünschte Wirkung sein. Wichtig ist in allen Fällen eine bewusste Entscheidung, was wie wo (und warum) positioniert wird.


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