Neulich stand ich in der gerade perfekt aufgeräumten Küche, schenkte mir ein Glas Wasser ein – und verschüttete die Hälfte. Ich war einfach mit den Gedanken woanders. Gereizt schnappte ich mir den Lappen, um den Fehler zu beseitigen und hielt inne: Der Wasserfleck war zu einem Virus mutiert, was uns sonst momentan nicht gerade zum Lachen bringt. Ich machte ein Foto und freute mich über die Anregung für eine neue Arbeit.
So geht es mir häufig, allerdings noch nicht sehr lange. Ich tendiere zum Perfektionismus, was es nicht gerade einfach macht, Fehler zu mögen. Sie sind eine Art Betriebsstörung, die verhindern, dass ich das Ziel erreiche. Ich habe einige Jahre gebraucht, bis ich gemerkt habe, dass mich genau dieses Denken daran hindert, gute Kunst zu machen.
- Mit Fehlern ist das Scheitern vorprogrammiert
- Vertraut und eng? Oder neu und weit?
- Der Weg ist das Ziel
- Keine Fehler, sondern Impulse für Neues
Mit Fehlern ist das Scheitern vorprogrammiert
Und dann hat es nochmal ein bisschen gedauert bis ich verstanden habe, warum das so ist. Dabei liegt es auf der Hand: Wenn ich keine Fehler machen will, wage ich nichts. Birgt doch alles, was ich neu ausprobiere, die Gefahr, sich als blöde Idee zu entpuppen. Verschwendete Zeit, Energie, vielleicht auch Geld. Scheitern, angeknackstes Selbstwertgefühl. Blöde Bemerkungen von außen. Und so bleibe ich lieber in meiner Komfortzone, mache das, was ich kenne und kann.
Die Crux dabei: Ich mache immer das Gleiche. Ich entwickle mich (und meine Kunst) nicht weiter. Ich werde mit der Zeit eher ängstlicher, mein Bewegungsradius sinkt. Warum? Weil ich keine richtigen Erfolgserlebnisse habe, die mein Selbstvertrauen stärken, ich mache ja eh das, von dem ich weiß, dass ich es schaffe.
Doch das besonders Perfide daran ist: Auch beim Laufen auf ausgetretenen Pfaden kann Unvorhergesehenes passieren – ein Baum kippt um und versperrt den Weg, ein Regenguss verwandelt ihn in ein unpassierbaren Schlammfeld, ein verstauchter Knöchel hindert mich am Vorwärtskommen… Das geplante Ziel auf dem bekannten Weg zu erreichen, ist normal und verursacht keine emotionalen Höhenflüge. Doch die nicht geplanten Hindernisse werden als negativ wahrgenommen und machen mir beim nächsten Mal Angst, loszulaufen. Eine Art Negativspirale, weil unterm Strich die schlechten Gefühle überwiegen.
Vertraut und eng? Oder neu und weit?
Ein weiterer Punkt: Ich lerne nichts, entwickle mich nicht weiter. Immer das zu tun, bei dem ich mich sicher fühle, ist vielleicht angenehm. Aber wie finde ich Neues, wenn ich kuschelig eingehüllt auf dem Sofa sitzen bleibe? Gar nicht. Ich dümple in vertrauten, seichten Gewässern. Rieche nie den Salzduft des Meeres, spüre nicht die Bewegung der Wellen, erfahre niemals das Hochgefühl, nach vielen Tagen auf dem Wasser am Horizont plötzlich Land auftauchen zu sehen. Abgesehen davon finde ich das extrem langweilig. Ich brauche Futter für meine Neugier, die Herausforderung, Neues zu erfahren, das Gefühl, nicht schon alles zu wissen. Das ist sicher auch ein Grund, warum ich beruflich immer wieder zu anderen Ufern aufgebrochen bin.
Der Weg ist das Ziel
Zielorientiert zu sein, ist in vielen Bereichen und Situationen hilfreich. Mit einer Tasche heimzukommen, deren Inhalt dem entspricht, was ich vorher auf dem Einkaufszettel notiert habe, ist durchaus sinnvoll, wenn ich ein bestimmtes Rezept kochen und damit später Gäste bewirten will. Aber ist es nicht auch unglaublich schön, über den Markt zu schlendern, den Augen und der Nase zu folgen und das Gemüse zu kaufen, was mich anlacht? Ich denke, es hat beides seine Berechtigung.
Perfektionismus ist immer daran gekoppelt, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, auf dem schnellsten und sichersten Weg. Das spielerische Experimentieren einfach um des Tuns willen ist etwas anderes. Was nicht bedeutet, dass es dabei keine Ergebnisse gibt. Nur stehen diese nicht im Fokus. Wenn ich durch die Bilder meines Sohnes blättere, die er mit rund 4 Jahren gemalt hatte, sehe ich genau das. Ich erinnere mich gut an das versunkene, lustvolle Zeichnen, einfach nur getrieben durch den Stift, die Farbe, die ihn gerade angelacht hat. Und während seine Finger über das Papier tanzten, erzählte er mir dazu Geschichten. Das Schaffen war das, worum es ging, nicht das Ergebnis. Damals habe ich ihn beneidet um diese Fähigkeit, sich ganz der Freude des Jetzt hinzugeben. Heute bin ich besser darin, auch selbst in diese Versunkenheit einzutauchen.
Keine Fehler, sondern Impulse für Neues
Genau dieses Gefühl brauche ich beim Malen. Im Moment zu sein, etwas auf die Leinwand bringen, ohne das Ergebnis im Blick zu haben. Dazu muss ich loslassen. Und einfach tun und spielerisch auf das reagieren, was dort passiert. Eine schmutzige Kaffeetasse abgestellt – ein anregendes Muster. Eine Druckerpatrone leer – eine ungewohnte Farbkombination. Ein Stift kleckst – na und? Vielleicht sind genau diese spontanen Zeichen das, was dem Bild noch gefehlt hat. Ein Farbdeckel fällt mir aus der Hand und sein Rand aufs Papier. Ein Fehler, den ich wegwischen muss? Nein, ein Impuls, der mir zuflüstert, dass diese Linie doch etwas ganz Besonderes ist, zu der ich nie gelangt wäre, hätte ich versucht, genau solch eine Linie zu zeichnen.
Während meiner Masterarbeit stellte ich fest, dass die vielfarbigen Papierreste, die beim Schneiden meiner Pop-ups auf den Boden gefallen waren, spannende Kompositionen ergaben. Die mich wiederum auf neue Ideen brachten. Kreativität vermehrt sich, wenn man sie zulässt – das ist meine Erfahrung. Fehlerdenken und Perfektionismus schnürt ihr die Luft ab.
Fazit
Fehler sind Niederlagen – genau diese Sicht hindert uns daran, spannende Wege zu gehen. Ich versuche, das Wort FEHLER aus meinem Wortschatz zu verbannen. Oder seine Buchstaben neu zu sortieren. Dann werden daraus nämlich HELFER. Impulse, mit denen wir uns lebendig fühlen, weil sie uns helfen, neue Wege zu gehen.
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Ich freue mich: Mein neuer Katalog ist fertig.
Hier lässt er sich online durchblättern
PS: Das Eingangsbild ist aus meinem Artist’s Book „oh no mistake!“, das sich genau mit dem beleuchteten Thema beschäftigt. Sein Titel lässt sich lesen als „Oh nein, ein Fehler“, aber auch als „Oh, kein Fehler“ (sondern ein Impuls, etwas Neues zu beginnen…).
Hier gibt es ein paar Einblicke in das Buch „oh no mistake!“.
Du beschreibst so gut, wir wir uns selbst berauben, mit dem Anspruch perfekt und fehlerlos alles hinzugekommen. Das spielerische Element geht dabei verloren. Kinder haben das noch aber in der Schule geht das schnell verloren.
Da hast du völlig recht, liebe Jacqueline, wohl jeder von uns ist mit der unvoreingenommenen Kreativität und dem „Einfach-tun-Können“ auf die Welt gekommen. Schade, dass viele von uns schwer daran arbeiten müssen, diesen Status im späteren Leben wiederzuerlangen. Die Kunst ist für mich dabei ein großes Geschenk, die mir das ermöglicht.
Schön die Perspektive zu wechseln und Fehler in Helfer umzudeuten. Das fördert die Kreativität, genau wie das ausschalten des Navis zu neuen Wegen führt. Die sich dann auch auf das Hirn ausweiten. Danke dafür liebe Dagmar.
Oh ja, das mit dem Navi ist ein schönes Bild, danke dafür. Ich fahre tatsächlich wann immmer es geht, ohne. Das liegt allerdings eher daran, dass ich dann ein Gefühl dafür bekomme, wo ich gerade bin. So kann ich mich besser in der Welt verorten, die oft so wenig fassbar & digital geworden ist.
Liebe Dagmar, das hast du so schön beschrieben. Und wir können so viel von Kindern und anderen Kulturen lernen. Ja ich bin auch perfektionitisch veranlagt. Ich glaube unsere Gesellschaft st darauf ausgelegt, perfekt zu funktionieren. Scheitern oder Fehler gehören da nicht rein. Deswegen finde ich es so toll, dass du es immer mehr entdeckst. Ohne „Fehler“ können wir gar nicht lernen und Neues erschaffen. Ich freue mich schon auf deinen nächsten Beitrag. Liebe Grüße
Liebe Kathrin, ich freue mich immer über deine Kommentare – hab vielen Dank. Ich sehe das wir du – in unserer westlichen Gesellschaft herrscht eine Fehlerkultur. Frage, wenn etwas schief gelaufen ist „wer war’s?“ und nicht „Wie können wir das beim nächsten Mal besser machen?“. Zumindest bei sich selbst kann man anfangen, das zu ändern. Liebe Grüße, Dagmar
Nice thing artwork without any flaw … giving feeling of Good . Yes possible , why not …there is no rules in art and can not be
any … what someone think as mistake actually was the original idea.. only artist know if it was planned or it is mistake..
But some problems are coming ourdays Artificial intelligence can learn technics and style of any artist and one day AI will do
it better then his teacher … the only thing AI can not do as artist is his mistakes … not because AI cannot learn or forgets…
it because artist do not know his mistakes himself , it does not come by plan or rule .. so it is adantage of human artist over AI… „errare humanum est“
Hi David, thank you for your comment. It’s an interesting point of view, I haven’t thought about it this way. (So called) mistakes as a possibility to make a difference between human art and machine made „art“ . Maybe it’s that what we call soul. It’s like someone singing: usually we prefer the performance which is not perfect but which makes us feel the personality, the soul, touching us, to the flawless one with perfect technical skills but without emotions.