Jochen Bach war ein Mensch, der die Unabhängigkeit schätzte. Den Großteil seiner Lebenszeit verbrachte er in einem abgelegenen Ort mit einer Wassermühle in Thüringen, wo er sich nach Herzenslust seiner Kreativität hingeben konnte. Mit seiner Arbeit und seiner Kunst prägte er diesen Ort – ohne sich über Konventionen, Gebräuche oder gesellschaftliche Gepflogenheiten Gedanken zu machen. Die Mühle baute er zu Galerie aus, wo seine Bilder hängen und verkauft werden. Er schuf außerdem einen außergewöhnlichen Skulpturen-Garten, der mittlerweile jährlich Hunderte Besucher anzieht. Der Künstler ist Ende 2022 gestorben. Ich kenne seine Tochter Philine, Fotografin und Archäologin. Sie und ihre Familie möchten den Garten als Kulturort und Galerie weiterführen. Ich habe mit Philine über dieses wunderbare Projekt gesprochen.
Liebe Philine, du hast in unserem Netzwerk gepostet, dass du jetzt auch Galeristin bist. Ich war überrascht, dann habe ich mir die Webseite angeschaut, die du für euer Projekt angelegt hast. Deine Fotos und Texte haben mich gepackt. Und ich habe mir fest vorgenommen, diesen Ort der Stille möglichst bald zu besuchen. Bis dahin stelle ich dir einfach ein paar Fragen.
Erzähl doch mal, was hat euch dazu bewogen, die Mühle und den Garten weiter für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen?
Dass mein Vater mal stirbt, war mir zwar rational klar, aber wirklich daran geglaubt habe ich nicht. Das ist sicher normal, weil die Eltern einfach immer schon da waren. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass er nicht mehr an diesem Ort ist.
Wir wussten schon im letzten Jahr, dass er krank ist und dass Bauchspeicheldrüsenkrebs keine Diagnose ist, mit der man eine hohe Lebenserwartung hat. Im Sommer kam die ganze Familie zusammen, auch mein Bruder, der mit seiner Familie in Amerika lebt. Damals hatten wir gemeinsam beschlossen, dass Plinz, so heißt der Ort, im Familienbesitz bleiben soll und dass wir eine Lösung finden werden, wie wir ihn erhalten. Es ist ein recht großes Gehöft und meine Eltern haben hier jeden Tag gearbeitet und die Galerie und den Garten in Schuss gehalten. Uns war noch nicht ganz klar, wie das funktionieren kann, wenn der kreative Motor nicht mehr da ist. Meine Mutter war immer die, die ihm den Rücken freigehalten hat und dafür sorgte, dass das Chaos nicht über ihnen zusammenschlug. Kreative sind ja oft chaotisch… Aber auch genial! Und leider manchmal auch schwierig im Umgang – und so konnte ich mir letztes Jahr einfach noch nicht vorstellen, dass ich mal wieder nach Hause zurückkehre und hier lebe.
Und wie kam es dann dazu, dass du deine Meinung geändert hast?
Dass ich zurück in mein Elternhaus ziehe, war ein ganz persönliche Entscheidung von mir. Ich habe keinen Auftrag von meinem Vater und keine Bitte von meiner Mutter bekommen. Nachdem mein Vater Weihnachten letztes Jahr die Räume gewechselt hat, machte er auf eine ganz wunderbare Weise Platz. Wir durften ihn begleiten auf seiner Reise, was für uns als Familie sehr tröstlich war.
Ich blieb nach seinem Tod ein paar Wochen bei meiner Mutter und als ich dann wieder fuhr, in mein eigenes Leben, keimte der Gedanke: Ich könnte auch zurückkehren. Dieser Ort ist einfach zu besonders, als dass man ihn schließen sollte. Plinz bietet so unglaublich viele Möglichkeiten. Ich denke oft an ein Kaleidoskop: Wenn sich ein kleiner Stein bewegt, ergibt sich ein ganz neues, wunderbares, in sich stimmiges Bild. Vor 30 Jahren schickten mich meine Eltern in die Welt hinaus mit dem Satz: „Egal, was du nach dem Abi machst, Hauptsache, du bist nicht mehr zu Hause. Du kannst jederzeit zurückkommen, aber werd erst mal selbständig.“ Nun ist der Zeitpunkt gekommen.
Dein Vater hat einen interessanten Werdegang: erst Maurer und Architekt, dann Künstler. Magst du ein bisschen über ihn erzählen? Hat er schon immer Kunst gemacht? Und was hat ihm Kunst, seine Kunst bedeutet?
Was war dein Vater für ein Mensch?
Mein Vater hat sich seit seiner Jugend mit Kunst beschäftigt. Er hat gezeichnet, gemalt und Gedichte geschrieben. Meine Mutter erzählte mir oft von seinen poetischen Briefen, die er früher geschrieben hat, an sie und davor an seine Freundinnen. Als die beiden sich kennenlernten, war er 27 und meine Mutter 18. Beide studierten Architektur in Weimar, er war gerade im letzten Semester, als meine Mutter ihr Studium begann. Seine Studentenbude war voll mit Bildern und Skulpturen, die er geschaffen hatte. Damals war noch seine Affinität zu Chagall zu erkennen. Mit jedem seiner Bilder hat er ganze Geschichten erzählt. Wir haben noch einige Bilder aus dieser Zeit, das war Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre. Oft hat er seine Stute Ajanka gemalt. Es heißt, er sei auf ihr zur Mensa geritten.
Als er meine Mutter traf, war ihm gleich klar, dass er sie heiraten wird. Zwei Jahre später tat er das auch und nachdem sie ihr erstes kleines Haus am Rande von Weimar gebaut hatten (heute würde man Tiny-House sagen) suchten die beiden ein Gehöft in der Nähe von Weimar, wo sie mit den Pferden (Ajanka hatte ein Fohlen) leben konnten. Außerdem wollten die beiden Großstädter irgendwo leben, wo es egal war, was die Leute sagen. So fanden sie die Plinzmühle. Plinz war früher ein Mühlenstandort. Seine Geschichte reicht bis in Mittelalter zurück und zuletzt wurde in Plinz in den 60er Jahren Mehl gemalen.
Mein Vater hat sich selbst als Künstler nicht so ernst genommen, hat einfach das getan, was ihm in den Sinn kam. Er selbst schrieb mal Folgendes über seine Kunst:
„Über meine Arbeit kann ich nicht viel sagen. Es gibt nichts zu erklären, ich habe keine Philosophie außer der unseres einfachen Lebens hier in Plinz. Leben wir nicht im Paradies? Diese Erde ist ein wundervoller Planet, mit Sonne und Regen, Schnee und Wind, Bäumen, Blumen und Vögeln. Welcher Reichtum steckt doch schon in einer kleinen, spielenden Katze? _ Kunst sollte etwas Wertvolles sein, das dieser Welt gerecht wird. _ Kunst sollte Werte aufbauen, nicht zerstören. _ Kunst muss schön sein und wahr und gut. _ Die Kunst sollte zur Einfachheit zurückfinden in diesem komplizierten Leben meiner Mitmenschen. _ Eine Galerie sollte ein Platz der Andacht sein, wer trägt schon seine Wünsche und Träume auf einem Tablett vor sich her? Oftmals male ich Bilder von Menschen in seltsamer Umgebung, ich gebe dem Betrachter ein Rätsel mit auf den Weg, das für mich auch nicht gelöst ist, eine Empfindung ohne logische Begründung. Wieviele Geschichten spinnen sich manchmal aus einem einzigen Bild bei den unterschiedlichsten Betrachtern! Also kein: Was wollte der Maler uns damit sagen… Lasst eurer Phantasie freien Lauf! Wichtig sind Stille und Licht in meinen Bildern. Und wenn es das letzte Sonnenuntergangslicht hinter den Bergen ist. Das soll nichts Düsteres sein und Bedrückendes, wie manche das empfinden. Es ist nur die Stille der Nacht. Sicherlich liegt es daran, dass ich ein Nachtarbeiter bin. Fast alle meine Bilder entstehen zwischen 22 und 2 Uhr, wenn alles schläft und ich ungestört bin. Landschaften, Stillleben, Porträts, Akte, Terrakotten, Ölbilder, Radierungen und Fotografien. Früher war ich Architekt und fuhr jeden Tag in ein Büro. Heute habe ich jeden Tag Sonntag, was gleichzeitig auch bedeutet, dass ich jeden Tag arbeite. Meine Tage könnten 48 Stunden und mehr haben. Immer schaffe ich nur einen Bruchteil des Möglichen. Leider…“ |
Oh wie gut ich das nachvollziehen kann. Ich bin auch eine Nachteule und liebe diese ruhigen Stunden, wenn die Welt stiller atmet. Und dass die Tage definitiv zu kurz sind, ist auch meine Meinung.
Ich bin aktuell mal wieder durch eure Webseite spaziert, seit meinem letzten Besuch ist einiges dazu gekommen. Die Kunst deines Vaters ist sehr vielfältig, sowohl was die Techniken betrifft – Malerei, Drucktechniken bis hin zu Skulpturen – als auch die Sujets. Viele menschliche und phantasievolle Gestalten finden sich neben Bildern von der Natur und surrealen Kompositionen. Die Landschaftsbilder sind häufig in der Region verortet, oder? Hat dein Vater alles parallel gemacht oder hatte er verschiedene Phasen des kreativen Schaffens? Gab es etwas, was ihm besonders wichtig war?
Gab es während seines Lebens verschiedene künstlerische Phasen, hat er in Zyklen gearbeitet?
Ja, es gab Phasen. Die haben sich aber auch überlagert. Und sie waren jahreszeiten-abhängig. Er hat im Winter oft Grafiken gedruckt, im Sommer Skulpturen geschaffen und nachts gemalt. In den 80er Jahren war er Kandidat für den „Verband Bildender Künstler“ und hoffte auf die Aufnahme. Ohne diesen Verband hatte man es in der DDR schwer, als Künstler anerkannt zu sein oder an Materialien zu kommen. So malte er in diesen Jahren meist Aktbilder, Landschaften und Stillleben. Als er Ende der 80er Jahre von seiner ersten Italien-Reise zurückkam, entstanden toskanische Landschaften. Erst mit der Wende wurde er wirklich frei von allen Zwängen und probierte sich in alle Richtungen aus. Wenn man heute seine Bilder betrachtet, kann man kaum glauben, dass sie von einer einzigen Person sind.
Das stimmt, die Werke sind wirklich sehr unterschiedlich und vielfältig. Hat er in den letzten Jahren noch etwas Neues ausprobiert bzw. kreiert?
In den letzten zehn Jahren hat er in meinen Augen ein ihm ganz eigenes Sujet entwickelt: „Die Behüteten“ hat er sie genannt. Zuerst hat er die Hintergründe mit verschiedensten Techniken gestaltet. Da hinein hat er dann Gesichter gemalt, die meist eine Kopfbedeckung tragen. Hüte eben. Diese Gesichter ähneln in gewisser Weise seinen Skulpturen im Garten. Sehr stilisiert.
Offenbar interessierte ihn oder deine Eltern nicht nur die Bildende Kunst, richtig? Es gab auch Konzerte, Lesungen und anderes. Welche Beziehung hatte deiner Vater dazu?
Welche Rolle spielten auch andere kulturelle Bereiche im Leben deiner Eltern?
Meine Eltern waren an Kultur sehr interessiert. Sie gingen oft ins Theater oder Ballett. Seit den 90er Jahren gab es in Jena eine große Kulturveranstaltung: die Kulturarena. Das fanden die beiden so genial, dass sie in der Mühle, die nun schon zur Galerie umgebaut war, eine kleine Bühne einbauten und einen Konzertflügel anschafften. Seitdem luden sie selbst Künstler, Musiker, Kabarettisten oder Schriftsteller ein, um in Plinz aufzutreten.
Letztlich fand hierdurch auch der Garten seinen Ursprung: Mein Vater baute hier eine Sommer-Konzert-Bühne. Um diese Bühne herum entstand dann Jahr für Jahr ein bisschen mehr vom Garten, mehr Skulpturen, mehr Räume. Bis zum Beginn der Pandemie fanden regelmäßig alle drei Wochen Veranstaltungen in Plinz statt.
Dein Vater hatte sicher eine extrem innige Beziehung zur Natur, so jedenfalls ist mein Eindruck beim Betrachten deiner Fotos. Ich finde faszinierend, wie eng seine Kunst mit dem Garten verschränkt ist. Ich vermute fast, das eine gäbe es ohne das andere nicht, oder?
Wie hängen die Kunst deines Vaters und der Garten zusammen?
Mein Vater wusste schon bei seinem ersten Besuch in Plinz 1972, dass er hier leben möchte. In diesem Tal, in dem zwei Bäche zusammenfließen, in diesem alten Haus. Wo ihm keiner sagt, wann die Straße zu fegen ist, wie man seine Wäsche aufzuhängen hat oder wann mal wieder die Fenster geputzt werden müssen.
Plinz ist umgeben von Wäldern, Wiesen und Weiden. Dort, wo heute der Garten ist, wuchsen damals ein paar Eschen und Holunder. Auf Knien hat er sich das Fleckchen Grün zwischen den beiden Bächen erschlossen, hat Brennnesseln ausgerissen und Wege verlegt, Beete angelegt und seine Skulpturen platziert. Immer, wenn irgendwo wieder ein Stück frei wurde, kamen ihm neue Ideen, wie er diesen Teil gestalten kann. Das ging immer zusammen. Er hatte also nicht den großen Plan. Das entwickelte sich Stück für Stück.
Neulich fand ich im Internet ein Video, wie der Garten 2010 aussah. Ich war echt überrascht, wie sehr er sich seitdem verändert hat. Einige Skulpturen gibt es nicht mehr, neue sind dazu gekommen. Und in den letzten Jahren hat er immer nach neuen Pflanzen gesucht, deren Blätter oder Blüten ihm interessant erschienen.
Hatte dein Vater eine bevorzugte Jahreszeit?
Haha, ja, er liebte das Frühjahr, weil da alles von Neuem begann. Er mochte den Sommer, weil es da so schön warm war. Im Herbst begann er sich vor dem Winter zu gruseln. Den Winter konnte er nicht leiden, da war es ihm zu kalt. Dafür hatte er aber eine große Vogelfutterstation vorm Fenster und kannte alle Arten, die zum Fressen kamen. Die konnte er von drinnen beobachten. Draußen war er im Winter nicht so gern.
Warum heißt der Ort Garten der Stille? Hat dein Vater diesen Namen gefunden? War ihm die Stille wichtig? Die ist in der Natur ja gar nicht so einfach zu finden …
Garten der Stille – woher kommt dieser Name?
Mein Vater war gern allein. Er brauchte keine anderen Menschen um sich und mochte keinen Smalltalk. Trotzdem erschuf er diesen Garten – natürlich auch für andere. Die kamen auch und damit war die Ruhe, die er an Plinz so schätzte, oft dahin. Es wurden Betriebsfeiern im Garten veranstaltet und Kinder rannten krakeelend darin rum. Das war nicht sein Anliegen für den Garten. Darum nannte er ihn den Garten der Stille, in der Hoffnung, die Besucher mögen sich auch so verhalten.
Doch still ist es tatsächlich nicht. Die Bäume rauschen im Wind, die Bäche murmeln, Insekten summen und die Vögel zwitschern um die Wette. Das waren Geräusche, die mein Vater sehr mochte.
Wenn ich mich mit deinen Fotos auf der Webseite durch den Skulpturenpark bewege, habe ich das Gefühl, dein Vater hatte eine starke Vision. Was denkst du, hat ihn dazu bewegt, all diese Figuren in den unterschiedlichsten Positionen zu erschaffen, manche in Kommunikation, andere mit sich selbst beschäftigt oder sogar abweisend? Und alle mehr als nur das ausstrahlend, was man auf den ersten Blick sieht? Zudem blitzt für mich eine gehörige Portion Humor durch.
Was hat deinen Vater angetrieben?
Jochen hatte so seinen eigenen Humor. Nicht immer für andere zu verstehen. Ich glaube, er hatte einfach Spaß daran, diese Figuren zu schaffen. Die Gruppen erzählen Geschichten. Jeder liest darin eine andere. Und das ist auch gut so. Man braucht keine Vorbildung und keinen Zugang zur Kunst. Entweder man kann was damit anfangen oder nicht. Die meisten Menschen, die nach Plinz kommen erfreuen oder amüsieren sich über die Figuren. Manche finden sie schräg oder skurril. Das ist aber jedem selbst überlassen. Hier in der Gegend sagt man: „Da sind die ganzen Nackchen…“
Das kann ich sehr gut nachvollziehen: Kunst berührt, auch ohne ein Studium der Kunstgeschichte. Man muss sie nicht verstehen, sondern sich einfach darauf einlassen. Und manchmal erzählt sie Geschichten und jedem Menschen eine andere. Schließlich hat ja auch jeder Mensch einen eigenen Blick auf die Welt und seine ganz persönlichen Erfahrungen.
Liebe Philine, beschreib doch mal kurz das Areal des Skulpturenparks. Wie groß ist es, wie viel Zeit benötigt man, um es einmal zu durchwandern? Gibt es Besonderheiten?
Wieviel Zeit sollte man für einen Rundgang durch den Skulpturenpark einplanen?
Oh, das ist schwer zu schätzen, ich müsste nachmessen. Man kann natürlich in 10 Minuten durchgehen. Aber der Garten ist recht verwinkelt. Immer wieder zweigen Wege vom Hauptweg ab und führen in „Räume“. Es gibt z. B. den Garten der Vögel, den Garten der Frösche, den Garten der Punks und den letzten Garten. Und den allerletzten Garten. (Immer wenn Jochen dachte: So nun reicht es, hatte er im nächsten Frühjahr doch den Impuls, noch einen weiteren Teil dazu zu fügen.) Überall gibt es Sitzplätze zum Verweilen und fürs Picknick.
Und vor allem gibt es unglaublich viel zu gucken. Ich hab nie alle Skulpturen gezählt, aber es sind sehr viele, oft eingewachsen und nur durch langes Betrachten erkennbar. Hier wachsen viele Pflanzen, manche verströmen einen betörenden Duft, andere haben nie gesehene Blüten und manche erstaunen nur durch die Farbe oder Form ihres Blattwerks. Also vielleicht sollte man Minimum 30 Minuten einplanen. Viele Besucher tauchen aber erst nach ein paar Stunden wieder auf.
Ich glaube, deine Mutter ist auch Künstlerin, oder? Darf ich fragen, wie es für dich oder auch deine Geschwister früher war, Eltern zu haben, die so schöpferisch tätig sind? War das normal oder eher etwas Besonderes? Haben dich deine Freunde darauf angesprochen? Hat dich das geprägt und wenn ja, in welcher Form?
Wie war es als Kind, Künstler als Eltern zu haben?
Gute Frage! Ich muss zugeben, mir war das manchmal peinlich, weil meine Eltern so gar nicht normal waren, wie die Eltern meiner Klassenkameraden. Ich hab sie auch oft verflucht, warum sie nicht wenigstens ins Dorf hoch gezogen waren. Immer musste ich mit dem Fahrrad los oder darum bitten, gefahren zu werden, wenn ich mich mit Freunden treffen wollte. Ich wollte früher einfach normal sein. Obwohl meine Freunde gern bei uns zu Besuch waren, weil eben alles ein bisschen anders war.
Heute sehe ich das natürlich anders. In diesem unkonventionellen Elternhaus konnten mein Bruder und ich sehr frei aufwachsen. Wir hatten Zugang zu Büchern und Bildung, wenn wir das wollten. Bei uns gingen oft Künstler, Balletttänzer, Schauspieler oder Schriftsteller ein und aus. Meine Eltern gaben immer einen Sch… drauf, was die anderen sagen und machten einfach ihr Ding, ohne jemand anderem zu schaden. Aus heutiger Sicht sind wir zwar sehr nebenbei aufgewachsen, haben dadurch aber auch die Möglichkeit bekommen, authentische und unabhängige Menschen zu werden. Wir wurden nie verbogen. Wir konnten uns sehr früh abnabeln und unser eigenes Leben führen.
Ich finde, das hört sich nach einen guten Erziehungsmodell an; ich wünschte, ich hätte so früh den Zugang zu Kunst und Kultur gehabt. Aber ich kann mir vorstellen, dass das „anders leben“ aus der Sicht eines Kindes durchaus eine Herausforderung war.
Was ist eure Vision für die nächsten Jahre?
Gemeinsam mit meiner Mutter und der Unterstützung durch meinen Bruder werden wir Plinz als Begegnungsort für Kunst und Kultur erhalten und weiterentwickeln. Ich bin meinem Vater so dankbar für das, was er der Welt hinterlassen hat. Er ist hier noch überall. Das tröstet mich.
Im Moment inventarisiere ich das Werk meines Vaters. Wir werden eine geschlossene Sammlung zusammenstellen, die unverkäuflich sein wird. Diese Sammlung wird einen Querschnitt aus seinem Schaffen enthalten. Die übrigen Bilder und Grafiken gehen weiter in den Verkauf.
Außerdem ist einiges zu sanieren. Wir können uns vorstellen, die Galerie zukünftig auch für Künstlerinnen zu öffnen (wir wollen gezielt Frauen fördern). Wir haben außerdem verschiedene Werkstätten, wie eine Druckerei und eine Töpferei, weitere Werkstätten werden dazu kommen. Unsere Vision ist es, Plinz kunst- und kulturinteressierten Menschen zugänglich zu machen. Es wird sicher wieder Veranstaltungen geben und auch der Garten bleibt geöffnet und erhalten. Wer darüber auf dem Laufenden gehalten werden möchte, kann sich in unseren Newsletter eintragen.
Liebe Philine, ich bin beeindruckt und finde es toll, dass und wie ihr alles weiterführt. Gerne möchte ich dir zum Schluss auch noch eine persönliche Frage stellen. Du bist zum einen Archäologin, zum anderen machst du wunderbare Portraitfotos von Frauen. Ich habe in unserem gemeinsamen Netzwerk mehrfach erlebt, dass du dabei auch eine Art von Zauberkraft besitzt, mit der du die Schönheit und Persönlichkeit jeder Frau zum Vorschein bringst. Irgendwie schaffst du es, unter der Oberfläche zu graben. Denkst du, dass dein Vater bzw. sein Wirken beeinflusst haben, was du jetzt beruflich machst und v. a. wie du es machst?
Welchen Einfluss hatte dein Vater auf dein Schaffen?
Vielen Dank für die Blumen! Zauberkraft … Ich verrate dir mein Geheimnis: Ich habe lediglich gelernt, natürliches Licht so einzusetzen, dass die schönsten Seiten der Frauen beleuchtet werden. Durch die Länge der Sessions schaffe ich es, hinter die Fassade zu schauen. Das ist es: Licht und Atmosphäre.
Auch wenn ich bei meiner Arbeit als Porträtfotografin sehr kreativ sein kann, ist es doch eher eine Dienstleistung und nichts, was einmal in einer Ausstellung hängen wird. Meine Art zu fotografieren unterscheidet sich sehr von der meines Vaters, da hat er mich nicht beeinflusst.
Was ich von ihm gelernt habe, ist: nicht an mir zu zweifeln, davon auszugehen, dass ich alles selbst lernen kann und wenn ich etwas nicht weiß, zu fragen. Und in meinem Streben nach Unabhängigkeit ist er mein Vorbild.
Liebe Philine, danke für diese persönlichen Einblicke in euer Leben und in das Wirken deines Vaters. Vieles was du von ihm erzählt hast, bringt auch in mir eine Seite zum Klingen; gern hätte ich ihn kennengelernt. Eines der Zitate, dass ich sofort unterschreiben würde, ist dieses hier:
„Wieviele Geschichten spinnen sich manchmal aus einem einzigen Bild bei den unterschiedlichsten Betrachtern! Also kein: Was wollte der Maler uns damit sagen… Lasst eurer Phantasie freien Lauf!“
Bereits eure Webseite hat mich sehr berührt. Doch den Garten der Stille vor Ort kennenzulernen – mit seinen verwinkelten Wegen, den Plätzen zum Innehalten und Schauen, den Farben und Düften und natürlich der Kunst – diesen Zauber möchte ich gern selbst erleben (und ihm erliegen). Ich hoffe sehr, euch im nächsten Jahr besuchen zu können.
Links:
- Plinz – Ein Begegnungsort für Kunst und Kultur
- Philine Bach – natürliche Portraitfotografie für Frauen
- Stille und Natur sind auch in meiner Kunst wichtige Triebfedern. Hier mein Artikel über die Kunst, Stille zu hören
Und wieder durfte ich einen, nein zwei, Vater und Tochter, von ihrer ganz besonderen Seite kennen lernen. Danke liebe Philine und Dagmar, für diese Zeilen.
Ein Individualist zu sein ist schon besonders, die Welt Welt sein zu lassen und in einer Blase voll Freiheit, Kreativität und Glück leben zu können. Einfach tun! Es geht! Ein Leben mit Stille und Frieden. Ein Leben mit Kunst. Ein Leben in der Natur. Ach wunderbar.
Danke liebe Christa. Wie schön, dass du das Interview über / mit Jochen und Philine Bach gern gelesen hast. Du hast recht: Es tut gut, Menschen kennenzulernen, die es schaffen, sie selbst zu sein. Ich arbeite noch dran :-)