2021 | Joshua Rofé | Netflix-Dokumentation |
Diejenigen, die mich kennen, wissen, dass ich lieber Bücher lese als Filme zu schauen. Doch ab und zu gibt es ein Thema, das mich interessiert und motiviert, mich auf bewegte Bilder einzulassen. Eigentlich hatte ich auf Netflix einen Film über William Turner gesucht, den ich vor einigen Jahren im Kino gesehen hatte. Den habe ich nicht gefunden, dafür aber eine Dokumentation über Bob Ross.
Ich hatte Bob Ross im Hinterkopf abgespeichert als den Maler mit den krausen Haaren, der kitschige Bilder kreiert und dessen ruhige Stimme man zum Einschlafen nutzen kann.
Seine TV-Show „The Joy of Painting“ läuft seit langer Zeit auch im deutschen Fernsehen in einem Nachtprogramm, der Kanal auf Youtube mit alten Folgen hat rnd 5,5 Millionen Abonnenten . Ehrlich gesagt wusste ich nicht, dass Bob Ross schon seit fast 20 Jahren tot ist. Und dass die noch immer präsente und umsatzstarke Vermarktung mit Farben, Pinseln und Kursen im Hintergrund zu riesigen Verwerfungen zwischen den Businessinhabern und seinen Erben geführt hat und noch führt.
Eine Schlammschacht, die alle Zutaten für großes Hollywood-Kino besitzt: inmitten von Kunst Intrigen und Verleumdungen, Helden und Verlierer, Liebesaffären, hintergangene Erben und unehrliche Geschäftspartner, geldgierige Freunde. Vorspiegelung falscher Tatsachen und Betrug, eine riesige Fangemeinde, die Ross bis heute verehrt. Lachen und Tränen, Träume und Scherben, Krankheit und Tod. Eine Heldenreise vom Familienvater und einfachen Airforce-Soldaten in Alaska zur Ikone.
Was mir aber beim Schauen der Doku aufgefallen ist, ist etwas ganz anderes. Bob Ross war ein Visionär:
- Seine Einstellung bzgl. Talent versus Genie: Jeder kann malen – das war sein Mantra. Und das hat ihn angetrieben, seine Kurse zu geben und Fernsehshows zu machen.
- Kunst macht glücklich – das war das, was er in seiner Fernsehshow „The Joy of Painting“ weltweit Menschen vermittelt hat, und zwar sehr erfolgreich. Der „Happy little Backround“ oder die „Nice little Trees“, die jedesmal in seinen in genau einer halben Stunde entstehenden Kunstwerken wuchsen, sind Kult.
- Wie er Kunstschaffen vermarktet und einem breiten Publikum zugänglich gemacht hat, das war ganz großes Kino. Ross hatte eine motivierende und wertschätzende Art, mit seinem Publikum umzugehen. Seine Wortwahl war poetisch, sinnlich und unaufgeregt, ganz ohne Dominanzgehabe – nicht umsonst waren viele seiner Fans weiblich. Die Wolken sanft streicheln, die Farben liebevoll einmassieren: So hatte vorher noch niemand öffentlich über den Akt des Malens geredet.
- Die persönliche Ansprache: Auch wenn er nichts ganz Intimes verraten hat (wie z.B. seine Krebserkrankung), hat er Dinge aus seinem Leben geteilt: Den Tod seiner Frau, den Stolz auf seinen Sohn. Seine Liebe zur Natur und den Tieren: Er scheute sich nicht, beispielsweise zutrauliche Vögel mit vor die Kamera zu nehmen. Und hat damit eine authentische Nahbarkeit geschaffen, von der Influencer heute träumen.
- „Ich habe festgestellt, dass nur nette Leute malen, wer malt, ist ein toller Mensch“ („Only nice people paint“): Ross verknüpfte die Tätigkeit des Malens mit positiven Eigenschaften und schaffte so Identifikation. Etwas Angenehmes und Leichtes zu tun und sich damit gleichzeitig als freundlich zu beweisen – das ist einfacher als jede Psychotherapie und damit unwiderstehlich.
- Ross war Meister der Kollaboration. Er war offenbar glücklich, wenn seine Kursteilnehmer:innen sich über ihre Erfolge freuten. Er teilte sein Wissen gern. Er verwies auf andere Kunstschaffenden, die anderes besser konnten als er. Es gelang ihm, Verbundenheit zu schaffen.
Fazit
Die Kunst von Bob Ross erfüllt sicher keines der gängigen Qualitätskriterien. Sie ist kitschig, wenig originär, nicht komplex oder politisch. Sie ist so einfach, dass die Technik ihrer Herstellung von vielen Menschen erlernt werden kann und damit alles andere als individueller Ausdruck. Trotzdem fasziniert mich das Phänomen Bob Ross: eine spannende Mischung aus Selbstvermarktung und der Vision, Kunst zugänglich zu machen. Ich bin überzeugt, dass Ross heute Millionen von Followern in den Sozialen Medien hätte.
Übrigens: Mein erster teurer Pinsel, den ich mir vor vielen Jahren geleistet habe, war ein Fächerpinsel. Ich hatte gesehen, mit welcher Leichtigkeit Ross damit Bäume malt.
Nachtrag:
- Anfang des Jahres ist in den USA ein Film („Paint“) angelaufen, der inspiriert ist von der Person Bob Ross. Ansonsten ist das Drehbuch wohl eher fiktional. Wann die Komödie auf deutsch erscheint, ist momentan noch nicht bekannt.
- Das erste Bild der rund 400 Gemälde, die Ross in seinem Fernsehmalkurs kreiert hat, steht zum Verkauf. „A Walk in the Woods“ ist für fast 10 Millionen Dollar im Angebot.
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Ich freue mich: Mein neuer Katalog ist fertig.
Hier lässt er sich online durchblättern
Links
- Mehr Infos über den Film Glückliche Unfälle, Betrug und Gier
- Kurzinfo über den neuen Film Paint
- Auch Bücher inspirieren mich. Hier eine Rezension zu 50 Fragen an die Kunst von Kolja Reichert
Den Film schaue ich gewiss an. Ich bin schon oft wunderbar von Bob entspannt worden ..nice little trees. Einfach nur nett, angenehm und sympathisch. Die Welt kann mehr davon brauchen.
Oh ja, von Bob Ross‘ „Niceness“ kann man nie genug haben. Freundliche, zugewandte Menschen machen das Leben für alle einfacher und die Welt ein Stückchen besser :-)