[Film-Rezension] Bob Ross: Glückliche Unfälle, Betrug und Gier

von | 8. September 2023 | Inspiration

2021 | Joshua Rofé | Netflix-Dokumentation |

Zwei Fächerpinsel; als Symbolbild für Bob Ross, der immer damit gemalt hat

Diejenigen, die mich kennen, wissen, dass ich lieber Bücher lese als Filme zu schauen. Doch ab und zu gibt es ein Thema, das mich interessiert und motiviert, mich auf bewegte Bilder einzulassen. Eigentlich hatte ich auf Netflix einen Film über William Turner gesucht, den ich vor einigen Jahren im Kino gesehen hatte. Den habe ich nicht gefunden, dafür aber eine Dokumentation über Bob Ross.

Ich hatte Bob Ross im Hinterkopf abgespeichert als den Maler mit den krausen Haaren, der kitschige Bilder kreiert und dessen ruhige Stimme man zum Einschlafen nutzen kann.

Seine TV-Show „The Joy of Painting“ läuft seit langer Zeit auch im deutschen Fernsehen in einem Nachtprogramm, der Kanal auf Youtube mit alten Folgen hat rnd 5,5 Millionen Abonnenten . Ehrlich gesagt wusste ich nicht, dass Bob Ross schon seit fast 20 Jahren tot ist. Und dass die noch immer präsente und umsatzstarke Vermarktung mit Farben, Pinseln und Kursen im Hintergrund zu riesigen Verwerfungen zwischen den Businessinhabern und seinen Erben geführt hat und noch führt.

Eine Schlammschacht, die alle Zutaten für großes Hollywood-Kino besitzt: inmitten von Kunst Intrigen und Verleumdungen, Helden und Verlierer, Liebesaffären, hintergangene Erben und unehrliche Geschäftspartner, geldgierige Freunde. Vorspiegelung falscher Tatsachen und Betrug, eine riesige Fangemeinde, die Ross bis heute verehrt. Lachen und Tränen, Träume und Scherben, Krankheit und Tod. Eine Heldenreise vom Familienvater und einfachen Airforce-Soldaten in Alaska zur Ikone.

Zeichnung von Bob Ross, der in die Kamera lächelt
Bob Ross: a happy painter…

Was mir aber beim Schauen der Doku aufgefallen ist, ist etwas ganz anderes. Bob Ross war ein Visionär:

  • Seine Einstellung bzgl. Talent versus Genie: Jeder kann malen – das war sein Mantra. Und das hat ihn angetrieben, seine Kurse zu geben und Fernsehshows zu machen.
  • Kunst macht glücklich – das war das, was er in seiner Fernsehshow „The Joy of Painting“ weltweit Menschen vermittelt hat, und zwar sehr erfolgreich. Der „Happy little Backround“ oder die „Nice little Trees“, die jedesmal in seinen in genau einer halben Stunde entstehenden Kunstwerken wuchsen, sind Kult.
  • Wie er Kunstschaffen vermarktet und einem breiten Publikum zugänglich gemacht hat, das war ganz großes Kino. Ross hatte eine motivierende und wertschätzende Art, mit seinem Publikum umzugehen. Seine Wortwahl war poetisch, sinnlich und unaufgeregt, ganz ohne Dominanzgehabe – nicht umsonst waren viele seiner Fans weiblich. Die Wolken sanft streicheln, die Farben liebevoll einmassieren: So hatte vorher noch niemand öffentlich über den Akt des Malens geredet.
  • Die persönliche Ansprache: Auch wenn er nichts ganz Intimes verraten hat (wie z.B. seine Krebserkrankung), hat er Dinge aus seinem Leben geteilt: Den Tod seiner Frau, den Stolz auf seinen Sohn. Seine Liebe zur Natur und den Tieren: Er scheute sich nicht, beispielsweise zutrauliche Vögel mit vor die Kamera zu nehmen. Und hat damit eine authentische Nahbarkeit geschaffen, von der Influencer heute träumen.
  • „Ich habe festgestellt, dass nur nette Leute malen, wer malt, ist ein toller Mensch“ („Only nice people paint“): Ross verknüpfte die Tätigkeit des Malens mit positiven Eigenschaften und schaffte so Identifikation. Etwas Angenehmes und Leichtes zu tun und sich damit gleichzeitig als freundlich zu beweisen – das ist einfacher als jede Psychotherapie und damit unwiderstehlich.
  • Ross war Meister der Kollaboration. Er war offenbar glücklich, wenn seine Kursteilnehmer:innen sich über ihre Erfolge freuten. Er teilte sein Wissen gern. Er verwies auf andere Kunstschaffenden, die anderes besser konnten als er. Es gelang ihm, Verbundenheit zu schaffen.

Fazit

Die Kunst von Bob Ross erfüllt sicher keines der gängigen Qualitätskriterien. Sie ist kitschig, wenig originär, nicht komplex oder politisch. Sie ist so einfach, dass die Technik ihrer Herstellung von vielen Menschen erlernt werden kann und damit alles andere als individueller Ausdruck. Trotzdem fasziniert mich das Phänomen Bob Ross: eine spannende Mischung aus Selbstvermarktung und der Vision, Kunst zugänglich zu machen. Ich bin überzeugt, dass Ross heute Millionen von Followern in den Sozialen Medien hätte.

Übrigens: Mein erster teurer Pinsel, den ich mir vor vielen Jahren geleistet habe, war ein Fächerpinsel. Ich hatte gesehen, mit welcher Leichtigkeit Ross damit Bäume malt.

Nachtrag:

  • Anfang des Jahres ist in den USA ein Film („Paint“) angelaufen, der inspiriert ist von der Person Bob Ross. Ansonsten ist das Drehbuch wohl eher fiktional. Wann die Komödie auf deutsch erscheint, ist momentan noch nicht bekannt.
  • Das erste Bild der rund 400 Gemälde, die Ross in seinem Fernsehmalkurs kreiert hat, steht zum Verkauf. „A Walk in the Woods“ ist für fast 10 Millionen Dollar im Angebot.

Dagmar Reiche Werkkatalog 2024 Cover

Ich freue mich: Mein neuer Katalog ist fertig.
Hier lässt er sich online durchblättern

Links

Tschüss Blockade, hallo Kreativität

Sie wollen Ihre weiße Leinwand in eine kreative Bühne verwandeln? Ich habe für Sie Impulse zusammengestellt, damit Sie wieder ins kreative Tun kommen. Hier gibt es das PDF.

Weitere Blogartikel

Wish you were gay – Anne Imhof in Bregenz

Wish you were gay – Anne Imhof in Bregenz

Mal wieder auf den letzten Drücker, aber immerhin habe ich es überhaupt noch geschafft, mir die aktuelle Ausstellung der deutschen Künstlerin Anne Imhof im Kunsthaus Bregenz anzuschauen. Impuls war die Frage einer Künstlerfreundin, ob ich Lust hätte auf eine Führung...

„Ihre Kunst sagt mir nichts …“

„Ihre Kunst sagt mir nichts …“

Vergangenen Freitag war die Eröffnung meiner aktuellen Ausstellung in der Städtischen Galerie in Riedlingen. Eine intensive Vorbereitung, dann ein tolle Vernissage, viele wunderbare Momente und Begegnungen. Ich sollte also rundum zufrieden sein. Doch wie so oft: ein,...

Von der Kunst, sich zu vermarkten

Von der Kunst, sich zu vermarkten

Manchmal bin ich einfach müde. Seit einigen Jahren versuche ich als professionelle Künstlerin mit meiner Kunst wenigstens das Brot zu bezahlen. Butter brauche ich nicht unbedingt. Doch momentan reicht es nicht mal für das Mehl. Vielleicht liegt es an der...

Sei doch froh, dass du ausstellen darfst …

Sei doch froh, dass du ausstellen darfst …

Jahreshauptversammlung des Kunstvereins – wie immer gehört auch ein Kassensturz dazu. Leider ist in Zeiten wie diesen das Wirtschaften nicht einfach. Wenn Stromrechnungen und Einkaufskosten die Einkünfte wegschmelzen, wird das Budget für anderes kleiner. Gerade Kunst...

Käthe Kollwitz – eine moderne Künstlerin

Käthe Kollwitz – eine moderne Künstlerin

Vergangene Woche habe ich mal wieder dem wunderbaren Städel Museum in Frankfurt einen Besuch abgestattet – zurzeit widmet sich eine Sonderausstellung dem vielfältigen Schaffen der deutschen Künstlerin Käthe Kollwitz (1867–1945). Bereits in meiner Kindheit in der DDR...

Muss Kunst politisch sein?

Muss Kunst politisch sein?

Kunst ist frei. Kunst darf Dinge sagen, die weh tun, sie darf den Finger auf Schmerzpunkte legen, zuspitzen und polarisieren. Sie darf provozieren und zum Widerstand aufrufen. Kunst kann als Hofnarr agieren und warnend den Finger erheben. Sie darf und kann vieles....

Die Kunst der Stille

Die Kunst der Stille

Über Stille zu schreiben oder gar zu sprechen, fühlt sich paradox an. Das ist ein bisschen so als beleuchte ich einen Raum, um Ihnen Dunkelheit zu zeigen. Auf den zweiten Blick ist das Thema allerdings gar nicht so absurd wie es scheint. Ein Plädoyer für die Stille....

STAGE – eine neue Kunstmesse in Bregenz

STAGE – eine neue Kunstmesse in Bregenz

Eher zufällig entdecke ich eine Anzeige in einem hiesigen Veranstaltungsmagazin. Ich lese von einer neuen Kunstmesse hier um die Ecke – im Festspielhaus Bregenz, von meinem Atelier locker mit dem Fahrrad erreichbar. Das Wetter ist passabel, meine Vorbereitungen für...

2 Kommentare

  1. Den Film schaue ich gewiss an. Ich bin schon oft wunderbar von Bob entspannt worden ..nice little trees. Einfach nur nett, angenehm und sympathisch. Die Welt kann mehr davon brauchen.

    Antworten
    • Oh ja, von Bob Ross‘ „Niceness“ kann man nie genug haben. Freundliche, zugewandte Menschen machen das Leben für alle einfacher und die Welt ein Stückchen besser :-)

      Antworten

Einen Kommentar abschicken

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert