Stille. Energie. Magie – als Artist in Residence in der Kartause Ittingen

von | 25. Juli 2024 | Ateliergeflüster

Ehemalige Mönchsklausen in der Kartause Ittingen - rechts heute genutzt als Atelierklause

Ittingen ist magisch. Das Gefühl hatte ich bereits bei meinem ersten Besuch. Der Klostergarten, der zum Gehen und Verweilen einlädt. Der Mühlteich, in dem die Wassernymphen wohnen, die Kräuter, deren Düfte durch die Luft schweben. Die verschwenderische Vielfalt der Rosenblüten. Der Trompetenbaum mit seinem gewunden Stamm und den großen herzförmigen Blättern. Die Gräser, die sich im Wind wiegen. Die alten Fachwerkgebäude mit dem warmen Rot ihrer Balken.

Bereits als ich das erste Mal durch das Tor der Kartause schritt, war ich verzaubert. Und bei diesem Besuch in der Atelierklause wusste ich, dass ich dort unbedingt Kreativzeit verbringen möchte. Als ich ziemlich genau ein Jahr später anreiste – mein Auto bis oben vollgepackt mit Papier, Leinwänden, Pinseln, Farben und Büchern –, wusste ich also, was mich erwartet. Und während meiner 6 Wochen dort habe ich gemerkt, dass ich es wusste – und auch wieder nicht.

Ankommen

Zeit nur für meine kreatives Tun zu haben: welch ein Geschenk. Am Anreisetag empfing mich Regen, der freundlicherweise genau solange aufhörte, wie ich zum Ausräumen des Autos und dem Bezug meiner Klause brauchte. Kurz vor dem Einbruch der Dunkelheit öffnete ich noch einmal die Tür: und wurde begrüßt von einem riesigen Regenbogen, der sich über den Gewächshäusern und den Weinbergen spannte. Welch ein Willkommen.

Startschwierigkeiten

In der ersten Woche war ich überwältigt von der Schönheit: Die Klause: zu schön, um zu arbeiten. Die Schweizer Landschaft: klischeehaft schön, warum also noch malen, gerade als Landschaftsmalerin? So richtig ins Tun bin ich erst ab Woche zwei gekommen. Dafür kannte ich bis dahin die mohnblumenroten und kornblumenblauen Felder, den Ruf der Milane, die Ufer füllende Thur, die tanzenden Kühe. Ich hatte auf den sonnenwarmen Steinen einer Ruine gesessen und Kohle vom Meiler im Wald aufgeklaubt (später sollte ich feststellen, dass sie sich nicht zum Zeichnen eignet). Ich hatte das Museum und den großen Kreuzgarten von innen gesehen, spannende Details in Türen und Schränken entdeckt, die Verwandlung alter Architektur in Schweizer Reduktion bewundert und mir die Rosen, Pfingstrosen und Kräuter genau angeschaut.

Ins Schaffen kommen

Das Wetter blieb bis zu meiner Abreise – gefühlt einen Lidschlag später – durchwachsen. So konnte ich anders als geplant selten im Garten sitzen und dort lesen und malen oder im Klostergarten skizzieren. Stattdessen lernte ich, wie man einen Kachelofen anfeuert und dass er tatsächlich den ganzen Tag wohlige Wärme abgibt.

Ich entdeckte Walderdbeeren neben den Feuerholzstapeln und war erstaunt, dass sie rot und süß waren, obwohl sie nicht viel Sonnenstrahlen abbekommen hatten. Ich klebte den Holzboden meiner Kartause ab und verlor damit die Angst, etwas schmutzig zu machen. Ich kämpfte mit vielen Fragen und Zweifeln und konnte doch immer wieder den nächsten Schritt gehen.

Getan? Eine Menge!

Ich habe rund 25 Bücher gelesen und mindestens ebenso viele Bilder gemalt. Ich habe Inspiration getankt und diese auf die Leinwand gebracht. Ich habe Wolken und Blüten fotografiert, immer und immer wieder. Ich habe das köstliche Eis in Klosterladen probiert, mir einen Teil des Hefezopfes vom Milan rauben lassen (aus der Hand – jetzt weiß ich, wie groß diese Vögel sind!) und Ittinger Käse und Thurgauer Erdbeeren genossen. Ich war mild mit mir selbst, bin eingetaucht in das „Alles dürfen, aber nichts müssen“ und habe selbst das Zaudern und Hadern umarmt. 

Fazit

Nach Hause mitgenommen habe ich ein Bienenhotel, verschiedene Sorten Minze, Ringelblumen und Kapuzinerkresse. Einige Skizzen, fast 30 fertige Bilder und etliche, die noch Arbeit brauchen. 15 vierblättrige Kleeblätter, gefunden und gepresst. Ein Vogelnest, das direkt vor meinen Füßen gelandet war. Manche Antworten und viele neue Fragen. Einen Weg, der etwas klarer zu erkennen ist als vorher. Intensive Erinnerungen. Düfte. Das Gefühl, willkommen zu sein, an diesem magischen Ort. Die Kartause Ittingen hat Zauberkräfte, die mich verwandelt haben. Ich bin unendlich dankbar für diese intensive Zeit.

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4 Kommentare

  1. Danke für das Mitnehmen in deine Zeit in der Kartause. Du schaffst es mit Worten Bilder zu malen und deine Erfahrungen erlebbar.
    Ich bin gerade sehr bewegt durch deine Art Schönheit in vielen Medien einzufangen.

    Antworten
    • Liebe Carmen,
      dein Feedback freut mich besonders, weil du jemand bist, dessen Newsletter und Blogartikel ich liebend gern lese. Hab Dank, dass du dir Zeit dafür genommen hast!

      Antworten
  2. Danke , liebe Dagmar für diese wunderbare Beschreibung deiner Zeit in Ittingen! Ein Genuss! Lieben Gruß von Mathilde

    Antworten
    • Liebe Mathilde,
      wie schön, dass ich dir ein genussvolles Lesen ermöglicht habe. Danke für dein liebes Feedback!

      Antworten

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