Artist in Residence: Was bedeutet das eigentlich?

von | 1. Dezember 2022 | Kunstwissen

kunstreiche Artist in residence | Acrylgemälde "Haus an der Küste"

Schon seit Längerem steht auf einer meiner sich wundersam vermehrenden To-Do-Listen „Bewerbung als Artist in Residence“. Sogar eine Datei mit zahlreichen Adressen habe ich vor geraumer Zeit angelegt – doch bisher habe ich diese allenfalls um neue Möglichkeiten ergänzt. Vor einigen Wochen flatterte ein Newsletter der IAPMA mit verschiedenen Ausschreibungen in meine Mailbox. Beim Überfliegen stockte ich: Plötzlich hatte ich das Gefühl wie bei einer Begegnung mit einem neuen Menschen, den man von Anfang an sympathisch findet. Man möchte diesen trotz vollem Kalender gerne näher kennenlernen, ruft an und fragt, ob man sich treffen kann. Ich wusste, „da will ich hin“.

Und so habe ich darüber nachgedacht, warum mich genau diese eine Ausschreibung so anlacht, was ich mir davon erhoffe, welche Konzeptideen ich dafür habe. Ich habe trotz Stress wegen der momentanen Ausstellungsvorbereitung meine Bewerbungsunterlagen zusammengestellt und losgeschickt. Erst dann startete das Herzklopfen: Ist mir jemand egal, kann ich eine Ablehnung gut verkraften. Mag ich aber jemanden, wiegt ein „nein, danke“ schon schwerer.

Artist in Residence – eine Zusage

Kurze Zeit später kam eine Mail. Und mit ihr die Nachricht, dass ich tatsächlich für die Künstlerresidenz 2023 im Kloster Dornach ausgewählt worden bin. Ich gebe zu, ich habe sie mehrfach gelesen, weil ich es erst nicht so recht glauben wollte. Es war ein glücklicher Tag. Und ein bisschen stolz war ich auch.

Seither sprudeln die Ideen, wie ich die zwei Wochen Ende Januar dort verbringe. Ich freue mich unbändig auf die Stille und Kontemplation und stelle mich gern der Reduktion – auf die winterliche Essenz der Natur, den geringen Platz, die fehlende Möglichkeit, aus dem Vollen meiner Ateliermaterialien zu schöpfen. Ich weiß, dass Begrenzung bei mir häufig zu besonders kreativen Ideen führt, das spornt mich an. Und ich weiß auch, dass die Gelegenheit, mich abseits vom Alltag nur auf meinen kreativen Prozess konzentrieren zu können, mich sehr produktiv (und glücklich) machen wird. Häufig haben Auszeiten rückblickend zu einer Zäsur in meinem Schaffen geführt oder Dinge hervorgebracht, für die ich sonst Monate bis Jahre gebraucht hätte.

Was ist eine Artist Residency?

Vor vielen Jahren hatte ich schon mal von Stadtschreibern gehört. Zu der Zeit habe ich Lyrik und Kurzgeschichten geschrieben und überlegt, ob ich mir so etwas vorstellen könne: als Autorin eine gewisse Zeit in einem von einer Stadt zur Verfügung gestellten Haus zu leben und dort in Ruhe an meinen Texten zu arbeiten. Da ich nicht aber nie wirklich als Schriftstellerin fühlte, habe ich das damals nicht weiter verfolgt.

Im Prinzip ist ein „Artist in Residence“ nichts anderes als der Oberbegriff für ein vergleichbares Setting für Künstler unterschiedlicher Fachrichtungen – neben Schriftstellern auch Musiker und Komponisten, Schauspieler, Tänzer und Bildende Künstler, manchmal auch Architekten und Designer.

Zu einer Artists Residency (oder auch Künstlerresidenz) gehören im Prinzip – neben der künstlerischen Tätigkeit des Bewerbers – zwei Dinge: erstens die Möglichkeit, die kreative Tätigkeit zeitlich begrenzt an einem anderen Ort ausüben zu können, und zweitens eine Art von Förderung. Das können nur der zur Verfügung gestellte Raum zum Schlafen und /oder zum Arbeiten, das Essen oder auch die Reise- und Materialkosten sein bis hin zu einem Geldbetrag im Sinn eines Stipendiums. Im weiteren Sinn lassen sich auch Angebote darunter fassen, bei denen der Kunstschaffende die gesamten Kosten selbst übernehmen muss. Manche der Residenzen sind daran gekoppelt, dass eine Verpflichtung besteht, am Schluss Arbeitsergebnisse zu produzieren und präsentieren. Sind sie mit einem Stipendium gekoppelt, heißen sie dann auch Produktionsstipendium.

Die Angebote reichen von wenigen Tagen bis hin zu mehreren Monaten.

Meist gehören Ateliers zu einer Artist Residence für Bildende Künstler

Wie gelangen Künstler an eine Artist Residency

Zahlreiche Institutionen bieten solche Programme an, etwa Galerien, Künstlerhäuser, Kunstvereine, Museen, Theater oder Hochschulen. Sie können Solitäre sein oder Teil eines Gesamtkonzeptes. Häufig werden die Künstlerresidenzen regelmäßig ausgeschrieben, manchmal auch wechselnd zwischen den verschiedenen Kunstrichtungen. Sie können an ein Thema gekoppelt sein oder auch ganz frei. In manchen Fällen werden Kunstschaffende direkt eingeladen oder vorgeschlagen – Initiativbewerbungen sind dann in der Regel nicht möglich.

Meist werden die Programme jedoch ausgeschrieben. Welche Anforderung erfüllt und welche Bewerbungsunterlagen eingereicht werden müssen, ist sehr unterschiedlich, wird aber in der Ausschreibung genau erklärt. 

Welchen Vorteil hat es, Artist in Residence zu sein?

Bei einer Bewerbung für eine neue Stelle überlegt man sich, was man erwartet und was man davon hat. Vielleicht ist es eine neue Herausforderung, bei der man viel lernt und sich weiterentwickeln kann? Oder es lockt ein höheres Gehalt, ein Karrieresprung, eine tolle Reputation. Vielleicht gibt es auch spannende Freizeitmöglichkeiten oder ein interessantes Team. 

Bei einer Bewerbung als Artist in Residence spielen ähnliche Überlegungen eine Rolle. Welche dieser Vorteile relevant sind, variiert je nach individueller Erwartung, hängt aber auch von der Art der Ausschreibung ab. Im Folgenden ein paar Aspekte:

  • Meist gibt es mehr BewerberInnen als Plätze. Erhält man mit seiner Bewerbung also den Zuschlag, ist das wie ein Qualitätsstempel für die künstlerische Vita. Je bekannter das Haus oder die Künstlerresidenz, desto höher ist die Wertigkeit. Als Beispiel sei die Villa Massimo in Rom genannt, eine deutsche Kultureinrichtung, die der Bundesregierung unterstellt ist und zur Spitzenförderung deutscher Künstler gehört. Dort für die 10 Monate dauernde Artist Residency angenommen zu werden, gleicht einem Ritterschlag.
  • Der Grundgedanke viele der Programme ist, den Austausch zwischen verschiedenen Kunstschaffenden zu fördern. Deshalb werden häufig mehrere Residencies gleichzeitig vergeben, nicht selten sogar spartenübergreifend. Manchmal gibt es gemeinsame Arbeitsräume, in anderen Fällen zwar eigene Ateliers, aber regelmäßige gemeinsame Treffen und Unternehmungen. Dadurch befruchten sich die Künstler gegenseitig, die Blicke über den Tellerrand geben zusätzlich Inspiration und oftmals entsteht auch ein langfristiges oder sogar lebenslanges Netzwerk. 
  • Besonders spannend sind in dieser Hinsicht internationale Programme, die einen länder- und kulturübergreifenden Diskurs ermöglichen. Häufig bestehen dabei Kooperationen mit verschiedenen anderen Institutionen, die wiederum ganz neue Vernetzungsmöglichkeiten bieten.
  • Je nach Ausschreibung ist auch eine (zeitweise) Betreuung durch Experten inkludiert, etwa bei Druckgrafiken. So besteht die Möglichkeit, neue Techniken zu erlernen oder das vorhandene Wissen zu vertiefen.
  • Manche Residenzen bieten gerade das Gegenteil: Runterkommen, Kontemplation, Stille. Dann stehen vielleicht noch nicht einmal Ateliers zur Verfügung und der Künstler muss sich der Reduktion auf wenig Vorhandenes stellen. Auch das kann sehr inspirierend sein und ganz neue Energie freisetzen.
  • Unbekannte Orte geben andere Blickwinkel und Impulse. Dadurch entstehen kreative Ideen oder Werke, die so vielleicht nicht in der gewohnten Umgebung entstanden wären.
  • Sich für einige Zeit dem kreativen Schaffen widmen zu können, ohne sich um die üblichen Alltagsdinge kümmern zu müssen, kann sehr befreiend sein. Das gilt zum Beispiel für Residenzen, an denen die Verpflegung angeboten wird.
  • Der Ort selbst hat nicht unerheblichen Anteil daran, was aus einer Artist Residency erwächst. So gibt es Angebote in der Großstadt und in der abgelegenen Wildnis – und alles dazwischen.
  • Oftmals sind die Residencies gekoppelt an die Möglichkeit für die Artists in Residence, ihre entstandenen Werke in der Öffentlichkeit zu präsentieren, nicht selten verbunden mit Vorträgen oder Workshops. Über solche Ausstellungen, Lesungen, Aufführungen etc. berichtet wiederum häufig die Presse – zwei Fliegen mit einer Klappe.

Nicht zu vergessen: Auch die ausschreibenden Institutionen haben etwas von solchen Programmen: Freude, Renommee und Aufwertung ihres Ortes, künstlerische Arbeiten als Tauschwert, die Möglichkeit, neue Künstler zu entdecken, spannende Begebungen und Interaktionen, das Wissen, etwas für die Gesellschaft tun, ggf. auch die Möglichkeit, Fördergelder zu erhalten.

kunstreiche kunstwissen Artist in Residence | allein oder In kommunikation
Mit Kunstschaffenden aus aller Welt zusammen arbeiten und sich austauschen oder allein kreative Konzepte ausbrüten: Das mögliche Spektrum von Künstlerresidenzen ist groß.

Fazit

Eine Künstlerresidenz bietet Inspiration, Begegnungen, Impulse. Es gibt zahlreiche Ausschreibungen national und international. Vor einer Bewerbung sollte sich der Künstler genau überlegen, was er sich davon erhofft und welches Umfeld er benötigt: lieber trubeliger Austausch oder inspirierende Zurückgezogenheit, eher im turbulenten Stadtgeschehen oder besser mitten in der Natur? Auch der Zeitrahmen sollte berücksichtigt werden – nicht jeder kann sich mehrere Monate von seinen sonstigen Verpflichtungen befreien. Wird die Bewerbung angenommen, werden die Bedingungen in der Regel mit einem Vertrag oder einer Vereinbarung festgeschrieben.

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