Gerhard Richter gehört schon lange zu meinen Lieblingskünstlern. Im Prinzip seit ich begonnen habe, mich für Kunst zu interessieren – in den 80er Jahren, etwa zu der Zeit, als Richter auf dem internationalen Markt durchstartete. Ich war also sehr gespannt auf seine aktuelle Ausstellung „Verborgene Schätze“ im Kunstpalast Düsseldorf.
An Gerhard Richter und seiner Kunst gibt es eine Menge, wofür ich ihn bewundere. Über einen Künstler zu schreiben, der zu den bekanntesten und erfolgreichsten Kunstschaffenden der Gegenwart gehört, ist jedoch eine riesige Herausforderung. So viel wurde über ihn publiziert, in allen wichtigen Zeitschriften werden seine Ausstellungen rauf und runter besprochen, in der Regel auch hochgelobt. Es gibt einen wunderbaren Dokumentarfilm über ihn und sein Arbeiten, seinen Werken begegnet man weltweit in den meisten großen Museen.
Wie also nähere ich mich solch einem „Überkünstler“? Der einzige Weg ist hier eine ganz persönliche, subjektive Beschreibung dessen, wie ich die Ausstellung erlebt habe und was sie mit mir gemacht hat.
Verborgene Schätze – Werke aus rheinischen Privatsammlungen
Eines vorab: Ich schließe mich all den positiven Besprechungen an, die ich dazu schon gelesen habe: Die Ausstellung ist grandios. Über 120 Arbeiten aus allen Phasen von Richters Schaffen, also über rund 60 Jahre hinweg. Das Besondere: Die Werke sind zusammengetragen aus Privatsammlungen vor allem im Rheinland und waren zum Teil sehr lange nicht mehr oder noch nie in der Öffentlichkeit zu sehen. So zeigt sich einerseits der spannende Bogen von Richters Entwicklung als Künstler, andererseits auch so mancher Überraschungsmoment. Eines ist die Ausstellung jedenfalls an keiner Stelle: langweilig.
Bewunderung für Richter und Herausforderung für mich
Während meines zweimaligen Rundgang machte sich bei mir ein sonderbares Gefühl breit: Warum soll ich überhaupt noch Kunst machen? An ganz vielen Stellen stehe ich vor Richters Werken und denke: „Oh, diese Idee gab es bei ihm auch schon“. Ich war bisher immer froh über meine Kreativität und die Schubladen voller Einfälle. Gestresst hat mich eher, dass ich nie die Zeit habe, auch nur einen Bruchteil davon umzusetzen.
Und nun wandere ich durch die Ausstellung und blättere im Begleitkatalog. Und finde so vieles, an dem ich mich auch schon versucht habe, oder was in Form von Projektideen durch meinen Kopf schwirrt. Licht und Schatten, abstrahiert. Motive, verwischt. Schwarz-grau-weiße Übergänge im Dreidimensionalen. Wolkenserien. Landschaften im Nebel, Landschaften übermalt oder mit Rakelspuren. Schichtungen, wieder abgekratzt, um sich über den Prozess der Kunst und dem, was sie uns zu sagen hat, zu nähern. Vergrößerung von Ausschnitten. Künstlerbücher. Der Wechsel zwischen unterschiedlichsten Techniken, Materialien, Inhalten. Grafiken. Werkverzeichnisse.
Dazu die Aussagen von Richter, die an den Wänden hängen und sich im Katalog finden. Über Landschaftsmalerei, Ordnungsliebe. Abstrakte Bilder. Seine Titelfindung. Und, nicht zuletzt, seine Weigerung, sich auf Bedeutungsebenen festlegen zu lassen. Und dann noch das schräge Detail, dass wir beide aus Dresden kommen.
Nur ein Abklatsch?
Es ist irgendwie bizarr. Vielleicht passiert es unbewusst, wenn man einen Künstler besonders schätzt, dass man sich dessen Ideen zu eigen macht? Dass ich all die Dinge, die ich schon über Gerhard Richter gelesen und von ihm gesehen habe, in mich aufgenommen und so verwertet habe, dass ich die Illusion eigener Kreativität habe? Ein sehr ernüchternder Gedanke.
Ich fühle mich klein und unbedeutend. Und gleichzeitig vermessen, weil ich mein Tun und Denken mit einem der ganz Großen vergleiche. Andererseits: War es nicht schon immer so, dass sich Kunstschaffende an ihren Vorgängern gemessen, sich von ihnen beeinflussen lassen haben? Die Verortung in der Kunstgeschichte gehört dazu, das Sich-Fragen, ob und wie man einen Beitrag leisten kann, sich weiterentwickelt, ohne nur ein Abklatsch zu sein. Doch das fühlt sich manchmal ganz schön herausfordernd an, zumal wenn die vorhandenen Fußstapfen so riesig sind.
Bei sich bleiben
Ich stehe vor Richters Bildern und habe das intensive Gefühl, dass er primär für sich Kunst geschaffen hat, für seinen eigenen Erkenntnisprozess und nicht, um dem Kunstmarkt zu Diensten zu sein. Eine Ausnahme bilden vielleicht seine im Katalog erwähnten rund 30 Auftragsportraits auf Basis von fotografischen Vorlagen, die er Mitte der 60er Jahre gemalt hat. Sein Düsseldorfer Galerist Alfred Schmela hatte die Idee, damit könne der Verkauf angeregt werden. Richter verdiente sich damit auch seinen Lebensunterhalt. Er mochte es wohl nicht, sie zu malen, sah aber zumindest den Vorteil, dass sie ihm manchen Erkenntnisgewinn und Ideen für seine freie Arbeiten brachten. So wandelte sich zum Beispiel der Vorhang – im Hintergrund von Passfotos aus dem Automaten – zum Hauptmotiv in einer seine Werkserien.
Übrigens war sich Richter schon immer durchaus darüber bewusst, dass er Teil des Kunstmarktes ist und dass es als Profi dazugehört, Werke zu verkaufen. So vermerkte er in Briefen häufig, ob und wie viele Bilder bei einer Ausstellung den Besitzer gewechselt hatten. Gerade zu Beginn seiner Karriere in Westdeutschland (er war 1961 kurz vor Mauerschließung mit seiner Frau Ema von Dresden ins Rheinland gekommen), machte Richter mit Künstlerfreunden mit zahlreichen Aktionen von sich reden, die er eher als Investition in die Zukunft sah, denn als Möglichkeit, monetär davon zu profitieren.
Mein Eindruck ist jedoch, dass er sich von diesem Wissen nicht korrumpieren lassen hat. Er vermarktete sich geschickt, drehte auch manchmal in der Kommunikation vorhandene Gegebenheiten so, dass sie sich als bewusste programmatische Entscheidung anhörten. Aber er macht(e), glaube ich, trotzdem keine Kunst, um dem Publikum zu gefallen. Sondern um für sich Dinge zu entdecken, weiterzukommen, sich zu entwickeln, von den Bildern zu lernen. Diese Authentizität ist jedenfalls das, was ich spüre, wenn ich vor seinen Werken stehe. Und das würde auch erklären, warum er sich und seine Kunst immer wieder neu erfunden hat.
Ehrlich gesagt: Ich finde nicht alle gezeigten Bilder künstlerisch rundum gelungen. Aber ich finde, sie haben alle eine Bedeutung und Berechtigung, in einer Museumsausstellung zu hängen. Weil sie zeigen, mit welcher Konsequenz Richter einerseits Ideen verfolgt und weiterentwickelt hat. Wie er sich andererseits aber auch nicht gescheut hat, komplett Neues zu beginnen, wenn er das Gefühl hatte, das Bisherige bringt ihn nicht mehr weiter. Und das ist das, was mir besonders starke Impulse gibt.
Gerhard Richter
Verborgene Schätze. Werke aus rheinischen Privatsammlungen
Kunstpalast Düsseldorf
5. September 2024 bis 2. Februar 2025
Links:
- Link zum Kunstpalast Düsseldorf
- Den Kunstpalast habe ich bereits Anfang des Jahres besucht – neben anderen spannenden Orten im Rheinland. Hier der Bericht darüber: Kunst erleben im Rheinland – ein Kurztrip mit vielen Impressionen
0 Kommentare