Punkt, Punkt, Komma, Strich – woran denkt vermutlich jeder als erstes, wenn er das hört? Genau: an die Kinderzeichnung eines Gesichtes – mondrund, die Augen nur angedeutet durch Punkte, Nase und Mund durch gerade und krumme Linien.
So ging es mir auch, als mir die Vereinsvorsitzende mitteilte, für welches Thema sich der künstlerische Beirat für die diesjährige Mitgliederausstellung entschieden hatte. Punkt, Punkt, Komma, Strich? – Ehrlich gesagt: Ich fand es schrecklich. Doch bei dieser Ausstellung bin ich als Hauptverantwortliche diejenige, die die Mitglieder zum Mitmachen einlädt, die Texte für die Presse, Vorschau und das Vorwort im Katalog schreibt, den Katalog gestaltet. Die anderen das Thema schmackhaft machen muss. Es blieb mir also nichts anderes übrig, als mich damit auseinandersetzen.
Kennen Sie das, wenn Sie nicht nur keine Lust haben, sondern so einen richtigen Widerstand spüren? Ich wollte nicht. Was für ein doofes Thema. Ich schmollte ein paar Tage. Und dann passierte etwas Interessantes: Ich besann mich einer der zahlreichen Fähigkeiten von Kunstschaffenden – der Kreativität.
Kreativität für die Auseinandersetzung
Was können wir Künstlerinnen und Künstler, was ist der eigentliche Sinn von Kunst? Zu berühren, klar. Doch auch: einen neuen Blick auf die Welt zu schenken. Dinge sichtbar zu machen, die dem flüchtigen Alltagsblick entgehen. Um die Ecke zu denken, die Teller hochzuheben, um nicht nur über den Rand, sondern auch darunter zu schauen. Erwartungshaltungen infrage stellen. Sich auf die Essenz zu besinnen, Dinge runter brechen und sezieren, Details anschauen.
Und da war er: Der Funke, der das Feuer der Freude entfacht. Das ist doch genau das, was wir Kreativen können: zu zeigen, dass „Punkt, Punkt, Komma, Strich“ eben viel mehr ist als ein ungelenk gefügtes Mondgesicht. Und so fing das kreative Tun an. Und so ging es, wie ich später hörte, etlichen der teilnehmenen Kunstschaffenden.
Punkt und Linie als Grundbausteine
Formal sind der Punkt und die Linie das Grundgerüst der Kunst. Vergrößerte Punkte ergeben Flächen, Linien umrahmen oder durchbrechen diese. In der Zeichnung und Druckgrafik sind Linien und Punkte die Kreativbausteine für die Werke, in der Digitalkunst die Pixel. Ohne Punkte und Linien gäbe es keine Flächen und damit letztlich auch keine Körper und Räume.
Zu diesem Thema ließe sich stundenlangen durch die Kunstgeschichte streifen. Ich greife mir hier nur exemplarisch ein paar wenige Aspekte raus.
- Punkte und vor allem Striche begleiten das künstlerische Schaffen des Menschen seit Anbeginn – man denke an die steinzeitlichen Höhlenzeichnungen in Europa und Afrika oder die Ritzungen in den Grabmalen der australischen Aborigines (übrigens: die „Dot-Paintings“, die oft mit deren traditioneller Kunst verbunden werden, sind erst in den 1980er Jahren als neue Kunstströmung entstanden). Punkt und Linie markieren auch den Beginn der abstrakten Kunst – 1928 erschien das Buch „Punkt und Linie zu Fläche: ein Beitrag zur Analyse der malerischen Elemente“ von Wassily Kandinsky.
- Der Punkt: Dem Pointillismus gibt er seinen Namen, ist diese Kunstrichtung doch dadurch gekennzeichnet, das Farbtupfer dich an dicht nebeneinander gestellt werden und erst im Auge des Betrachters zu einer neuen Farbe und Fläche verschmelzen. Die moderne Weiterentwicklung dieses Prinzips sind in den comicähnlichen Bildern von Roy Lichtenstein zu sehen – in denen die Primärfarben ähnlich wie im Auflagendruck rasterartig nebeneinander gesetzt sind. Wussten Sie, dass diese Punkte sogar einen Namen haben? „Benday Dots“, benannt nach Benjamin Day, der das Druckverfahren Ende des 19. Jahrhunderts erfunden hat. Bei Punkten muss natürlich auch die Kunst der Japanerin Yayoi Kusama erwähnt werden, die ein ganzes Punkte-Universum aufspannt, mit dem sie auch ihre persönlichen Herausforderungen bewältigt.
- Und die Linie: Ihr Synonym, der Strich, ergibt in Kombination mit dem Pinsel den Duktus, ein mögliches Erkennungsmerkmal des Künstlers – man denke an die markanten Farbaufträge eines Vincent van Goghs. Für Picasso war das Beherrschen der Linie absolut grundlegend und blieb für ihn Zeit seines Lebens eine Art Obsession. Oder denken Sie an Beckmann – auch er ein großartiger Zeichner, auch wenn man vielleicht sogar als Erstes an die prägnanten dunklen Konturlinien in vielen seiner Gemälde denkt. Oder auch einer meiner deutschen Lieblingskünstler: Horst Janssen, für den als begnadete Zeichner und Druckgrafiker die Linie essentiell war.
Punkt, Punkt, Komma, Strich im KUBA
Auch die 52 Kunstschaffenden des Vereins haben sich bei der diesjährigen Mitgliederausstellung mit diesem Thema auseinandergesetzt. So groß die Zahl der Teilnehmer:innen ist, so vielfältig und unterschiedlich sind auch die gezeigten künstlerischen Positionen, die sich in den rund 100 Werken aus Malerei, Fotografie, Grafik und Objektkunst zeigen.
Wie immer ist es extrem spannend zu sehen, wie unterschiedlich die Herangehensweisen der einzelnen Kunstschaffenden ist. Formal und inhaltlich, technisch sowieso. Es macht Spaß, in den drei Ausstellungsräumen zu flanieren und sich die kreativen Interpretationen anzuschauen. Manches liegt nahe, anderes überrascht. Ich denke, dass jeder Gast etwas finden kann, was ihn anspricht.
Punkt Punkt Komma Strich
Kunstbahnhof Wasserburg (Bodensee)
18. Mai bis 23. Juni 2024
Fr, Sa, So, 15 – 18 Uhr
Eintritt frei
www.ku-ba.org
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Ich freue mich: Mein neuer Katalog ist fertig.
Hier lässt er sich online durchblättern
Links:
- Wer ein paar Gedanken zur Werkauswahl und Hängung bei einer Ausstellung lesen möchte, bitte hier entlang: Wenn Kunst und Kuratierung trefflich zusammenspielen
- Hier geht es zur Webseite des Kunstvereins Wasserburg.
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