In meinem letzten Newsletter berichtete ich über Werke, die während meiner Auszeit als Artist in Residence im Kloster Dornach mit der Gelatineplatte entstanden sind. Einer meiner Freunde fragte mich daraufhin, was eigentlich eine Monotypie ist. Ich war überrascht und merkte mal wieder, wie häufig man sich in seiner eigenen Welt von Begriffen bewegt, ohne dass deren Bedeutung anderen Menschen klar ist. Spontaner Entschluss: Ich schreibe über das Verfahren einen Blogartikel.
- Monotypie – ein Druckverfahren
- Monotypie: Begriffsbestimmung
- Unikat versus Auflagendruck
- Vorteile der Monotypie
- Kleiner Exkurs in die Geschichte der Monotypie
Vorab: Die Monotypie ist ein Druckverfahren. Trotzdem bewegt sie sich an der Grenze zwischen klassischen Drucktechniken wie Radierung oder Linolschnitt, Malerei und Zeichnung. Je nachdem, wie der Kunstschaffende damit (weiter-)arbeitet, besteht ein fließender Übergang zu Collage- und Mixed-Media-Techniken.
Monotypie – ein Druckverfahren
Zur Verortung erkläre ich zunächst kurz, was Druckverfahren ausmacht. Zum Drucken werden mehrere „Zutaten“ und mehrere Arbeitsschritte benötigt:
Materialien
- Zum einen braucht man den Druckträger, also die Platte, auf die das aufgebracht wird, was später auf ein anderes Material – den Bildträger – übertragen werden soll. Druckplatten sind beispielsweise aus Holz, Kupfer, Stein, Glas, Linoleum, aber auch Acrylglas, Pappe oder Gelatine (um die häufigsten zu nennen). Je nach Technik sind für das fertige Bild auch mehrere Platten oder eine Platte in verschiedenen Zuständen nötig, etwa um mehrere Farben zu übertragen.
- Zweitens werden Werkzeuge und Materialien benötigt, mit denen die Druckträger bearbeitet werden, etwa Schnittwerkzeuge (Holz-, Linolschnitt), Fettkreiden (Lithografie) oder Säuren (Radierung).
- Drittens sind Druckfarben notwendig, die je nach gewähltem Verfahren aus unterschiedlichen Inhaltsstoffen bestehen und verschiedene Konsistenzen besitzen.
- Viertens braucht man Rollen, Pinsel und andere Werkzeuge, um die Farben auf den Druckträger zu bringen.
- Fünftens braucht man die Bildträger oder Bedrucktstoff, also den Untergrund für das fertige Bild. Hier wird überwiegend Papier eingesetzt, aber auch Holz, Filz und andere Materialien werden verwendet.
- Und nicht zu vergessen: Es werden Werkzeuge benötigt, die Druck ausüben, um die Farbe von der Druckplatte auf den Bildträger zu bringen. Dazu werde je nach Verfahren die eigenen Finger und Handballen, Löffel, Handreiber bis hin zu Druckpressen eingesetzt.
Arbeitsschritte und Merkmale
Die genannten Arbeitsmittel verweisen bereits auf die Arbeitsschritte. So unterschiedlich Drucktechniken im Einzelnen sind, gelten diese grundsätzlich für alle:
- Zunächst wird der Druckträger bearbeitet,
- dann Farbe darauf gebracht und
- die so behandelte Platte per Druck auf den Bildträger überführt.
Merkmal klassischer Druckgrafik ist die potenzielle Reproduzierbarkeit. Mit einem Druckträger lassen sich – je nach Verfahren – einige wenige bis sehr viele (nahezu) identische Bilder erzeugen. Neben den heute eher künstlerisch eingesetzten Drucktechniken wie Holzschnitt, Radierung oder Steindruck (Lithografie), mit denen früher zum Beispiel Bücher illustriert wurden, zählen auch industrielle Techniken wie der Zeitungs- und Buchdruck zu den Druckverfahren.
Monotypie: Begriffsbestimmung
Die aus dem Altgriechischen stammenden Bestandteile des Wortes zeigen, worum es geht: „mono“ steht für einmal, einzig, allein, „typie“ für Abdruck, Figur. Monotypie bedeutet also „Einmaldruck“. Anders als bei den herkömmlichen Druckverfahren kann der Druckträger in seiner bearbeiteten Form nur ein einziges Mal verwendet werden. Es entsteht ein Werk, das nur einmal vorhanden und nicht reproduzierbar ist, also ein Unikat.
Monotypie und Monoprint
Als Synonym wird heute der Begriff Monoprint benutzt, auch wenn ursprünglich versucht wurde, damit eine Unterscheidung einzuführen:
- Monotypie als Unikat, bei dem nichts von einer Druckplatte stammt, die wiederholbare Drucke hervorbringen könnte,
- während Monoprint auch Elemente enthalten kann, die reproduzierbar sind.
Da Künstler häufig Methoden kombinieren, hat sich diese Unterscheidung nicht als praxistauglich erwiesen. Beispiel aus meinem eigenen Atelier: Ich nutze manchmal selbst gefertigte Schablonen oder Holzschnittplatten aus anderen Projekten, um Elemente oder Muster in Monotypien einzubringen.
In der wissenschaftlichen Literatur wird ein etwas anderer Fokus gesetzt: Dort wird mit dem Ende des 19. Jahrhunderts eingeführten Begriff die Monotypie als Verfahren, Malerei zu drucken, definiert. Hier kommt also der Aspekt, dass eine Verbindung von Grafik und Malerei, von Linie und Farbe vorliegt, und ein malerisches Ergebnis erzielt wird, mehr zum Tragen.
Zusammenfassend lässt sich Monotypie damit vielleicht beschreiben als ein grafisches Werk, von dem in dieser Form nur ein Abdruck gemacht werden kann und das malerische Effekte besitzt. Es gibt also keine Zustandsdrucke, die die Zwischenstände dokumentieren. Typisch ist auch, dass am Schluss nur das fertige Werk vorhanden ist. Das unterscheidet die Monotypie von klassischen Druckverfahren, bei denen die finale Druckplatte immer noch zumindest den letzten Zustand vor dem Druck zeigt.
Gelliplate-Printing
Ein Beispiel für ein Verfahren der Monotypie ist die Arbeit mit der Gelatineplatte (oder auch Gelliplate): Auf diese werden mit verschiedensten Techniken Acryl- oder Druckfarben aufgetragen und bearbeitet. Dann wird das Papier als Bildträger aufgelegt und die Farben werden mittels Handabrieb darauf übertragen. Danach befinden sich die Farben (mehr oder weniger) alle auf dem Papier, das genau gleiche Bild lässt sich also nicht erneut erzeugen.
Monotypie und Kopierpapier
Manchmal wird der Begriff Monotypie auch nur im engeren Sinn für das Verfahren verwendet, bei dem das Druckpapier auf eine Platte gelegt wird, die mit Farbe eingewalzt ist. Das Motiv wird mit einem Stift oder spitzen Gegenstand auf der Rückseite des Druckpapiers aufgezeichnet und nimmt an diesen Stellen die Farbe von der Druckplatte auf. Ich produziere damit also ein spiegelverkehrtes Bild auf der Rückseite des aufgelegten Bildträgers.
Kennen Sie noch Kohlepapier (auch Paus- oder Durchschlagpapier genannt), mit dem früher gleichzeitig mehrere Versionen eines Briefes erzeugt wurden? Das ist ein ähnliches Prinzip, bei dem allerdings der Druck von der anderen Seite (also quasi von der Rückseite der Druckplatte) ausgeübt wird: Zeichne ich mit einem Stift (oder Fingernagel) auf das Kohlepapier, wird an dieser Stelle die schwarze Farbe auf das darunter liegende Papier übertragen.
Unikat versus Auflagendruck
Die Übergänge zur Reproduzierbarkeit sind beim Monoprinting zum Beispiel mit Gelatineplatte fließend: Trage ich die Farbe mittels Schablonen oder Stempeln auf, sind im Prinzip auch mehrere zumindest sehr ähnliche Bilder möglich. Umgekehrt nutzen viele Künstler heute traditionelle Drucktechniken nicht dazu, um eine hohe Auflage von möglichst identischen Drucken zu erzielen, sondern experimentell. So entstehen auch dabei oft Einmaldrucke, also Unikate.
Zudem lassen sich für klassische Druckverfahren neue Materialien als Druckplatte einsetzen, die per se nur eine geringe Anzahl oder einmalige Durchführung erlauben, weil sich durch den ausgeübten Druck ihre Beschaffenheit und somit das Druckbild oder gar Abdruckfähigkeit verändern. Als Beispiel seien Acrylglas, Verpackungsmaterial wie Getränkekartons und Polystyrol (was sich oft als Einlage unter Käse oder Obst findet) genannt.
Vorteile der Monotypie
Im Mittelalter wurden per Holzschnitt gedruckte Schwarz-Weiß-Bilder mit der Hand nachkoloriert, auch das sind im Prinzip Übergänge zu Unikaten. Genauso lassen sich Monotypien weiter bearbeiten: erneut überdrucken, überzeichnen und bemalen, mit Collage-Elementen bekleben, ausschneiden und mit anderen zusammenfügen – der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.
Das Schöne daran:
- Kreativität gebiert Kreativität: Die entstehenden Ergebnisse beflügeln weitere Ideen.
- Überraschungselement: Anders als in der reinen Malerei, bei der ich direkt sehe, was passiert, ist beim Druckprozess noch eine Stufe dazwischen geschaltet. Ich liebe diesen Moment, wenn ich den Bildträger von der Druckplatte abziehe und erst dann sehe, was entstanden ist. Nicht immer das, was ich mir vorher vorgestellt habe. Auch nicht immer etwas, mit dem ich zufrieden bin. Aber immer etwas Neues, Überraschendes, auf das ich wiederum reagieren kann.
- Schaffensrausch: Das Verfahren ermöglicht, viele Bilder in relativ kurzer Zeit zu schaffen. So erhält man schnell eine Serie, mit der sich weiterarbeiten lässt und die neue Impulse gibt. Und die Lernkurve ist hoch, weil so schnell so viele Ergebnisse zu sehen sind.
- Niederschwellig: Monotypien sind einfach durchzuführen und es werden wenige, eher kostengünstige Materialien benötigt. Beim Gelatinedruck finden sich diese zum Teil im Haushalt oder in der Natur. Selbst die Gelatineplatte kann selbst hergestellt werden. Theoretisch können Monotypien zu Hause am Küchentisch entstehen. Und eignen sich ausnehmend gut zum kreativen Arbeiten in Kindergarten und Schule.
Kleiner Exkurs in die Geschichte der Monotypie
So populär die Techniken der Monotypien heute sind, so lange waren sie im kunstgeschichtlichen Diskurs nicht existent. Bis in die Siebzigerjahre des letzten Jahrhunderts wurden sie in entsprechenden Publikationen nicht oder nur als Randerscheinung erwähnt. Und das, obwohl bereits im 17. Jahrhundert der italienische Maler und Grafiker Giovanni Benedetto Castiglione mit diesem Verfahren gearbeitet hat. Mittlerweile gilt er als Erfinder der Monotypie. Andere bekannte Künstler sind die französischen Maler Edgar Degas und Paul Gauguin. Heute wird die Monotypie zunehmend auch im Kunstbetrieb als eigenständige Methodik künstlerischen Schaffens angesehen und akzeptiert. Viele zeitgenössische Künstler arbeiten damit, etwa Gerhard Richter, Per Kirkeby, Georg Baselitz, Rosina Kuhn und John Cage.
Fazit
Die Monotypie ist eine faszinierende, methodisch vielfältige und einfach zugängliche Verbindung aus Grafik und Malerei. Sie beinhaltet eine große Portion Überraschung und fördert damit besonders die Spontanität und Risikobereitschaft, das Loslassen und sich Einlassen auf den Zufallsmoment. Monotypie ist ein ständiges Ping-Pong zwischen Agieren und Reagieren und damit sehr prozessorientiert. Die geschaffenen Werke können beliebig weiterbearbeitet oder mit anderen Techniken kombiniert werden. Als Unikate sind sie aus meiner Sicht genauso wertvoll wie ausschließlich durch Malerei kreierte Bilder.
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Ich freue mich: Mein neuer Katalog ist fertig.
Hier lässt er sich online durchblättern
Links und Quellen:
- In einer ehemaligen Klosterzelle ist der Platz sehr begrenzt. Monotypie mit der Gelatineplatte ist für kreatives Arbeiten deshalb besser geeignet als etwa die Malerei mit Staffelei und Leinwand. Selbst ausprobiert als Artist in Residence im Kloster Dornach
- Sich dem Zufall zu stellen, gelingt mit Hilfe der Monotypie besonders gut. Hier ein Blogartikel über die Angst loszulassen
- Monotypie findet zunehmend Eingang in den Diskurs zeitgenössischer Kunst. Doch was ist das eigentlich, zeitgenössische Kunst?
- Ein Zeichen dafür sind entsprechende Ausstellungen. Beispielhaft genannt sei „Surprise. Die Kunst der Monotypie“ in der Städtischen Galerie Wolfsburg im Jahr 2022
- Norbert Weber: Die Monotypie. Zur Praxis der gedruckten Malerei, Kiel 2012; Schriftliche Hausarbeit zur Erlangung des Grades eines Magister Artium (M.A.) der Philosophischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (http://nordcult.org/Nordcult/Monotypie_02082012.pdf)
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