Sie haben Lust auf Malen, die Ideenkiste quillt über. Oder Sie sind durchs Internet gesurft, haben Erklärvideos angesehen und viele inspirierende Bilder geguckt. Jetzt sitzen Sie vor der jungfräulichen Leinwand oder einem leeren Blatt Papier und fühlen sich wie gelähmt. Schriftsteller kennen das Phänomen als Schreibblockade, ob es in der Malerei einen eigenen Ausdruck dafür gibt, weiß ich nicht. Aber schön ist es jedenfalls nicht, dieses Gefühl der kreativen Blockade. Was also tun?
Puh, solch ein Erlebnis hatte ich mehr als einmal in meiner kreativen Laufbahn: Pinsel und Farben schön sortiert und aufgereiht, das Wasserglas gefüllt. Und eine nagelneue Leinwand vor mir. Doch diese flüsterte nicht „Bemale mich“, sondernd zischte eher so etwas wie „Bist du dir sicher, dass dein Können ausreicht, mich zu verschönern?“
Besonders laut habe ich dieses Rufen vernommen, wenn ich inmitten von anderen Kursteilnehmerinnen stand, die alle genau zu wissen schienen, welches kreative Projekt sie umsetzen wollen. Während sich ihre Bilduntergründe in atemberaubender Geschwindigkeit mit Formen und Farben füllten und kurze Zeit später die Wände neben ihren Tischen bevölkerten, schaute mich meine – noch immer leere – Leinwand anklagend an. Ich fühlte mich als Versagerin. Zwischenzeitlich hatte mich dieses Gefühl soweit, dass ich überhaupt keine Weiterbildungen mehr besuchen wollte.
Mittlerweile passiert mir das nur noch selten. Ich habe Strategien entwickelt, wie ich mit einer weißen Leinwand umgehe, um einfach anfangen zu können. Ich wünschte, ich hätte diese schon vor einigen Jahren gekannt. Deshalb teile ich unten meine Lieblingstipps, wie ich der „Leinwandblockade“ entgegenwirke.
Woher kommt die Angst vor der weißen Leinwand?
Ich denke, diese hat viel damit zu tun, dass man bereits am Anfang an das fertige Ergebnis denkt. Und natürlich soll das möglichst toll sein. Schon beginnen die Zweifel zu nagen. Doch woher will ich wissen, wie ich an ein einzigartiges Bild komme, wenn ich mich nie auf den Weg dorthin mache?
Vor vielen Jahren lag mein Zimmer im Studentenwohnheim neben einer Frau, die sich entschlossen hatte, Geige spielen zu lernen. Für mich (und alle anderen Nachbarn) war das kein Spaß. Doch die Vehemenz und Hartnäckigkeit der Übenden ließ darauf schließen, dass sie Freude hatte. Beim Lernen eines Instruments ist es jedem klar: Es bedarf vieler Stunden der Übung, um es gut zu beherrschen und am Anfang sind eher klägliche Ergebnisse zu erwarten. Auch bei meinen Bildern quietscht und krächzt es am Anfang oft genug. Na und? Das Tun macht Vergnügen – was dem einen sein Geigenbogen, ist mir der Pinsel, der über die Leinwand streicht.
Eine weitere Ursache kann das Gefühl sein, keine Idee zu haben. Zu gern wäre man einer dieser großartigen Maler, die genau wissen, was sie wie umsetzen wollen. Und das natürlich auch hinbekommen. Altes Klischee: Malen und Kreativität sind Eigenschaften der Genies: Entweder man kann es, weil man von der Muse geküsst ist, oder eben nicht.
Aus meiner Sicht totaler Quatsch. Man muss nicht auf die geniale Eingebung warten, bevor man loslegen kann. Sondern darf einfach starten, mit irgend etwas: einer Linie, einem Farbklecks, einem Wort. Meine Erfahrung: Das Tun befeuert die Kreativität. Je mehr man tut, desto mehr Ideen entwickeln sich daraus. Und nebenbei lernt man immer etwas dazu. Früher hatte ich Angst, die Kreativität könnte versiegen. Heute habe ich Angst, all meine Ideen nicht mehr umsetzen zu können.
Bevor Sie loslegen, um etwas gegen die weiße Leinwand zu tun …
Bevor Sie sich hoffentlich von einigen meiner Ideen inspirieren lassen und diese in die Tat umsetzen, noch ein paar Gedanken vorab:
- Experimentieren Sie. Picken Sie sich die Impulse raus, die sich für Sie gut anfühlen. Scheuen Sie sich nicht, daraus einfach etwas anderes zu machen. Die Tipps sind Starthilfen – fahren dürfen Sie womit, wohin und so schnell (oder langsam) wie Sie mögen.
- Seien Sie niemals geizig mit den Materialien. Diese sind Ihre Grundlage – für alles. Wenn Sie die ganze Zeit daran denken, dass Farbe und Papier viel Geld kosten, hemmt das Ihr freies Tun. Nehmen Sie Preisgünstiges und Kostenloses: Kopierpapier, Umverpackungen und Reststücke aus dem Altpapier, Farben aus dem Baumarkt, billige Stifte. Kreativität benötigt keine teuere Materialien.
- Ähnliches gilt für die Angst, etwas schmutzig zu machen. Damit blockieren sie sich und Ihre Kreativität. Decken Sie alles gut ab, ziehen Sie alte Kleidung an, der Farbspritzer nichts ausmachen. Vielleicht ist es für Sie auch eine gute Idee, im Freien zu arbeiten?
- Einfach machen, nicht nachdenken. Es geht nicht darum, ein gutes Bild zu malen. Sondern beim Tun Spaß zu haben. Falls Ihnen etwas keine Freude bereitet, probieren Sie etwas anderes aus.
- Sie schaffen es nicht, ohne Ziel zu arbeiten? Dann nehmen Sie sich vor, ein besonders hässliches Bild zu malen.
- Alles darf, nichts muss. Ändern ist Programm. Nicht an etwas festhalten, weil es kaputt gehen oder schlimmer werden könnte. Seien Sie sicher: Es wird anders. Aber nicht schlechter. Und wenn, dann haben Sie etwas gelernt – auch was Gutes.
Tipps gegen Blockaden vor der weißen Leinwand
Ich habe Ihnen einem PDF rund 40 Tipps zusammengestellt, mit denen Sie die Blockade vor der weißen Leinwand überwinden können.
- Ungewohnte Materialien und Hilfsmittel
- Ungewohnte Techniken und Malweisen
- Ungewohnte Themen und Vorgaben
Hier zwei Beispiele:
- Impuls Nr. 33: Es gibt Farben, die Sie richtig doof finden? Dann nehmen Sie heute eine oder zwei davon (plus Schwarz und Weiß) und malen nur mit diesen. Da Sie diese nicht mögen, können Sie eh nichts falsch machen.
- Impuls Nr. 41: Gehen Sie kurz auf die Straße / in den Garten. Sammeln Sie, was ins Auge fällt – eine weggeworfene Schraube, ein schönes Buchenblatt. Ein interessanter Stein, Papierschnipsel. Lassen Sie dann alles wie Mikadostäbe einfach auf den Bildträger fallen. Falls es Ihnen gefällt, kleben Sie es fest, sonst alles hin und her schieben oder nochmal von vorn anfangen.
Wozu dient das alles?
Grundsätzlich sind alle Ideen dazu da, einfach ins Tun zu kommen. Die Liste lässt sich beliebig erweitern. Was passiert dabei? Sie schaffen damit, …
- … sich locker zu machen, vom Kopf- in den Bauch-/Herzmodus umzuschalten, also Fühlen statt Denken.
- … die leere Fläche zu füllen, um Impulse fürs Weitermachen zu erhalten.
- … rauszufinden, was Ihnen besonders Freude bereitet.
- … neue Techniken zu entwickeln, auf die Sie sonst vielleicht nicht gekommen wären. Malen ist viel mehr, als mit dem Pinsel Farbe aufzutragen.
- … zu entdecken, welche Effekte erzielt werden können. Und Sie können dieses Wissen ins eigene Repertoire aufnehmen.
- … einfach anzufangen und zu merken, dass der Prozess Spaß macht.
Angst vorm unbeschriebenen Papier oder der leeren Leinwand kennen wohl viele Kreative. Sie entsteht meist dadurch, dass man mit dem Anspruch anfängt, ein Meisterwerk zu kreieren und gleichzeitig Angst hat, das nicht zu schaffen. Mit einfachen Ideen wie oben gelingt es, diesen selbstgemachten Druck zu durchbrechen und dort zu landen, wo man eigentlich sein möchte: in der Freude des kreativen Tuns. Dann füllen sich die Leinwände schneller als man sie nachkaufen kann. Und es macht richtig Spaß, dem spielerischen Schaffen Raum zu geben. Ganz nebenbei erweitert man sein Wissen und seine Fähigkeiten.
- Mehr über Kunst lesen? Hier meinen Newsletter abonnieren
- Mehr von meiner Kunst sehen? Hier geht es zu meiner Galerie
- Kunst kaufen? Hier geht’s zu meinem Shop
Ich freue mich: Mein neuer Katalog ist fertig.
Hier lässt er sich online durchblättern
Weitere Links
- Wenn Sie dann mal angefangen haben, finden Sie hier noch 20 Tipps, wie Sie garantiert ein langweiliges Bild malen. Danach haben Sie so richtig gute Laune!
- Weitere Gedanken zu Impulsen beim kreativen Schaffen: Woher kommt die Inspiration?
- Noch mehr Impulse? Dann lesen Sie doch den Artikel über Fehler in der Kunst
- Meine Leporellos entstehen meist sehr spielerisch aus dem Moment. Impulse können dabei etwa bemalte Klebestreifen sein. Ein Beispiel finde sich auf meinem Youtube-Kanal
0 Kommentare