Die Welt geht den Bach runter – warum sollte ich mich für Kunst interessieren?

von | 13. Juli 2023 | Ateliergeflüster

Am Bach (Wachstum am Wasser)

Ganz ehrlich: Das frage ich mich in den letzten Monaten auch oft genug. Ich sitze dann in meinem Atelier und denke „Was tue ich hier? Warum mache ich nicht etwas Sinnvolles? Es gibt ja nun wirklich wichtigere Dinge als Kunst.“

Ja, es gibt Wichtigeres als Kunst. Ich bange nicht um mein Leben. Mir droht keine Todesstrafe, wenn ich meine Meinung sage, keine Kopfbedeckung trage und nicht alles, was die Regierung macht, gut finde. Ich muss nicht befürchten, dass mein Mann oder mein Sohn eingezogen werden, um das Land zu verteidigen. Ich kann mir noch die Ateliermiete leisten, meine Schaffensräume sind warm und ich habe genug Papier, Leinwände und Farben zum Arbeiten. Ich kann alles tun wie gehabt.

Kreativ sein, während Menschen um ihre Existenz bangen

Doch genau das kommt mir manchmal so seltsam vor: zu malen, während an anderen Orten Menschen in Luftschutzkeller flüchten. Mir über Komposition Gedanken zu machen, während Kinder sterben, weil sie nicht genug Nahrung haben. Mich für Farben zu entscheiden, während Waldbrände ganze Regionen zerfressen, Hurrikane Städte verwüsten und Jugendliche an Schwermetallvergiftungen oder Drogen zugrunde gehen. Während Gletscher schmelzen, Kriege geführt werden und Demokratie und Diskussionskultur an einem seidenen Faden hängen. Während die Welt von Horrormeldung zu Horrormeldung taumelt.

Deshalb mit dem Kreativschaffen aufhören?

Ein Dilemma. Dann wiederum: Was wäre, wenn ich keine Kunst mache? Im Großen macht es wohl keinen Unterschied – die Welt dreht sich weiter in irren Kreisen, ob ich nun daran teilnehme oder es lasse. Das gilt aber für alle, ob Kunstschaffende oder nicht. Im Kleinen, das ist das, was zählt. Wenn jeder ein winziges bisschen die Welt bewegt, dann dreht sie sich ein Stückchen weiter. Wenn ich mit meiner Kunst nur einen Menschen berühre, dann bewege ich etwas, dann mache ich einen Unterschied. Das gibt mir Hoffnung.

Zudem empfinde ich oft, dass die Welt im emotionalen Ungleichgewicht gefangen ist. Auf der dunklen Seite gibt es eine Menge Angst, Frust, Gewalt und Hässlichkeit. Die andere Seite mit Hoffnung, Freude, Schönheit, Empathie scheint weniger ausgeprägt. Kunst kann einiges in diese Waagschale werfen, um die Welt leichter und positiver zu machen.

Die Künstlerin Dagmar Reiche in ihrem Atelier
Kunst zu schaffen, macht mich glücklich. Und die Welt vielleicht ein bisschen heller…

Warum ich trotz allem Kunst mache und machen muss

Ist nicht jeder von uns angehalten, im Rahmen seiner Möglichkeiten sein Leben so zu gestalten, dass es ihm taugt? Unabhängig davon, ob ich nun an die Bibel oder einen Gott glaube, beinhalten christliche Gebote Vieles, was auch im humanistischen Denken Eingang finden. Eines davon: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Ja: Ich kann nur dann Liebe, Empathie, Verständnis für andere Menschen aufbringen, wenn ich es schaffe, mich selbst zu wertschätzen.

Und das bedeutet, dass ich Kunst schaffen MUSS. Sie ist Teil meiner DNA. Erst damit fühle ich mich lebendig, froh, glücklich und vollständig. Und davon kann ich dann etwas in die Welt hinaustragen.

Meine Kunst ist ein Stück von mir. Geht es mir gut, spiegelt es sich in ihr. Geht es mir weniger gut, hadere ich oder mache mir Gedanken, spiegelt sich das ebenso. Viele Facetten als Spiegel meiner Lebendigkeit. Und als etwas, was mich lebendig hält.

Das hat mich auch durch die vergangenen Jahre getragen. Etwa durch die Pandemie, an der viele verzweifelt sind. Ich hatte meine Kunst, meine Kreativität. Diese erfüllt mich, lenkt mich ab, schenkt mir die Möglichkeit, in andere Welten einzutauchen und die Unbill zu vergessen. Gibt mir die Kraft, mich mit mir auseinander zu setzen. Meine Zeit zu nutzen für etwas, was mich erfüllt. Das ist meine ganz persönliche Perspektive, und unabhängig von all den Studien, die zeigen, dass Kunst gut für Gesundheit und Wohlbefinden ist.

Kunst kann ein Ventil sein, um Ängste oder andere starke Emotionen rauszulassen. Sie kann bei der Bewältigung seelischer Verletzungen und negativer Erlebnisse helfen. Nicht umsonst gibt es Kunsttherapeuten, die nachgewiesenermaßen Menschen bei seelischen Krisen unterstützen können.

Portrait Acryl auf Leinwand mit dem Titel "so fühle ich mich heute"
Auch das vermag Kunst: Starke und unangenehme Gefühle zu verarbeiten und zu zeigen.

Ohne Vorurteile und Vorbehalte auf das Kunstschaffen schauen

Manchmal denke ich, mit dem Kunstschaffen ist das ein bisschen so wie beim Elternsein. Unbeeinflusst von vielen dogmatischen Ansätzen – Rabenmutter, wenn ich arbeite, Heimchen am Herd, wenn nicht – muss jede Familie für sich entscheiden, was passt. Ich wäre verrückt geworden, hätte ich sechs Jahre zu Hause bleiben müssen, um mich um das Kind zu kümmern. Das Arbeiten und Studieren, mich mit anderen Dingen als nur der kindlichen Entwicklung auseinanderzusetzen, war für mich extrem wichtig, um meine geistige Gesundheit zu erhalten. Ich bin der festen Überzeugung, dass ich so für mein Kind eine bessere und zufriedenere Mutter war, als wenn ich mich für die Hausfrau-und-Mutter-Variante entschieden hätte.

Gleichzeitig bin ich mit Frauen befreundet, die genau das gemacht haben: mehrere intensive Jahre zu Hause mit ihren Kindern. Auch wenn das für mich nicht funktioniert hätte – für sie war das genau die richtige Lösung. Und warum sind wir nach all den Jahren noch immer befreundet? Weil jede von uns tolerant genug war, die Entscheidungen der anderen Frauen als eine zutiefst individuelle zu akzeptieren.

Abgesehen davon: Das Kunstschaffen ist mein Beruf, keine Freizeitbeschäftigung. Sollte ich wirklich damit aufhören, weil die Welt im Krisenmodus ist? Hilft es der Welt, wenn ich stattdessen in einem Nine-to-Five-Job beispielsweise Schuhe oder Brötchen verkaufe?

Frau steht in einer Galerie vor Kusntwerken
Kunst kann Schönheit und Positives in die Waagschale legen.

Was die Welt bewegt – Großes und Kleines!

Als ich mir bereits vor etlichen Wochen Gedanken zu diesem Thema gemacht habe, kam ich auf die Idee, an einem beliebigen Wochentag im März alle Überschriften zu sammeln, die auf der Startseite eines bekannten Webportals angezeigt wurden – genau in dieser Reihenfolge: Krieg neben Beauty-OP, Fußball neben Fake-News, Elch-Attacke neben Energiepreisbremse (und die Kunst glänzt durch Abwesenheit…):

  • Russisches Flugzeug bei Anschlag in Belarus angeblich zerstört
  • USA hinterfragen Ursprung des Corona-Virus – und äußern weiteren Verdacht
  • Fahrt durch die Rettungsgasse: Entscheidung im Fall um die Bayern-Busse
  • Energiepreisbremse, Aldi-Prospekt, Corona-Tests: Das ändert sich im März
  • Zermürbender Kampf um Bachmut – die Lage im Überblick
  • So sah Ann-Kathrin Götze vor ihrer Beauty-OP aus
  • Da kann man nicht wegsehen: Lassen Sie sich von diesen Fotos verzaubern
  • Strack-Zimmermann kontert Wagenknecht-Vorwurf: „Widerwärtige Unterstellung“
  • Ausmaß ist kaum in Worte zu fassen
  • Dieter Schaad ist gestorben
  • Nach Ernährungsumstellung: Frau von Gerhard Schröder zeigt sein Abendessen
  • Österreichische Prinzessin Inge Sargent mit 90 Jahren gestorben
  • Elton verabschiedet sich von seinem verstorbenen Doppelgänger
  • Erdbeben in der Türkei: Rettungshund stirbt in den Trümmern
  • Luisa Neubauer: „Es wird auch mal knallen“
  • Vermisste eMode-Influencerin in Hongkong tot aufgefunden – Leiche zerstückelt
  • Milliarden Menschen auf den Russland-Festspielen von Wagenknecht und Schwarzer
  • Zum Schutz Osteuropas: Pistorius will Bundeswehr aufrüsten
  • US-Sender „Fox News“ soll wissentlich Falschmeldungen verbreitet haben
  • Klinsmann hat neuen Nationaltrainer-Job
  • „Bitte Vorsicht!“ Günther Jauch staunt über hochsensible Kandidatin
  • Ebay Deutschland streicht Gebühren für private Verkäufer
  • Amtliches Ergebnis: Mini-Vorsprung der SPD vor Grünen schrumpft
  • Sensationsfund: Forscher schreiben Menschheitsgeschichte um
  • Bräutigam stirbt während des eigenen Junggesellenabschieds
  • Charles Krönung: Weitere Musiker erteilen dem Monarchen eine Abfuhr
  • Berlin: Leichen einer Frau und eines Kleinkinds im See gefunden
  • Panzerkunde: Das sind die deutschen Waffensysteme für die Ukraine
  • London und Brüssel einigen sich im Brexit-Streit um Nordirland
  • Umfrage: Muss ein berühmter Satz wirklich geändert werden?
  • Hinterhältige Elche-Attacke bei Spaziergang
  • Typische Fehler: Diesen Müll werfen Sie bestimmt in die falsche Tonne
  • Bundesregierung widerspricht US-Darstellung in Panzerdebatte

Auch wenn die Auswahl in anderen Medien sicher andere Schwerpunkte und stilistische Highlights gehabt hätte, zeigt sie doch eins: Unser Alltag besteht nicht nur aus den großen, weltbewegenden Dingen. Sondern ist eine skurrile, absonderliche Mischung aus Wichtigem und Unwichtigem, die für jeden Menschen auch andere Prioritäten haben.

Fazit

Kunst kann Sinn stiften, zum Denken anregen, Diskussionen in Gang setzen. Freie Kunst ist ein wichtiger Teil unserer Demokratie. Auch deshalb ist sie unbedingt schützenswert – gerade und vor allem in instabilen, krisengebeutelten Zeiten wie diesen. Und deshalb male ich weiter. Und hoffe, dass ich ab und zu Menschen finde, die mit meiner Kunst etwas anfangen können. Die sich freuen über Stille und Schönheit. Und der puren Lust an der Kreativität.


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Tschüss Blockade, hallo Kreativität

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2 Kommentare

  1. Liebe Dagmar, zuerst wollte ich gleich schreiben, aber natürlich JA. Die Welt braucht Kunst. Immer.
    Als ich weiterlas, war ich mir angesichts der Aufzählung der Nachrichten, Meldungen, nicht mehr so sicher. Ich fühlte mich blockiert.
    Ja, und ist es nicht genau das, was es zu überwinden gilt? Gegen die Blockade schlechter, teils grausamer Nachrichten aus aller Welt hilft eins: Kunst. Kreativität. Literatur. Lyrik. Musik.
    Erinnerst du dich an das Video von einem Konzert aus der Ukraine aus einem zerbombten Wohnzimmer? Es stand ein leicht beschädigter, verschmutzter weisser Flügel darin und eine junge Frau spielte auf ihm! Ich hatte Gänsehaut und Hochachtung. Und das zeigt es doch, die Welt braucht Kunst, Musik, Literatur!
    Also, klare Antwort ja! Ja zur Kunst! Wann und wo auch immer! In Moskau, Berlin, Kiew und in Lindau Zech. Weil sie uns reich macht und uns nähren kann.

    Antworten
    • Ich unterstreiche den JA – dreimal und dick. Kunst nährt die Seele. Doch manchmal ist es schwer, das zu spüren. Und gleichzeitig hilft mir die Kunst dabei, genau daran weiter zu glauben :-)

      Antworten

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