Andy Warhol: Pop-Art in Lindau und ein spezielles Treffen

von | 21. September 2023 | Kunst erleben

Warum zeigt ein Stadtmuseum ständig Publikumsmagneten wie Picasso, Klee, Monet und aktuell Warhol? Wieso sind es immer die großen Namen, während die regionale Kunst unter dem Radar läuft? Warum schreibt sich ein Museum nicht auf die Fahnen, zeitgenössische Kunst zugänglich zu machen, auch Provokantes und Sperriges zu zeigen, Diskussionen anzustoßen und Neues zu wagen?

Wenn ich in den letzten Jahren über diese Fragen nachgedacht oder mit anderen Menschen diskutiert habe, paarte sich mein Unverständnis zugegebenermaßen auch immer mit etwas Unmut. Doch am vergangenen Dienstag gab es etwas Neues: Die Kunstschaffenden in und um Lindau wurden vom Kulturamt zu einem Treffen eingeladen. Angeboten wurden eine Führung mit dem Leiter Alexander Warmbrunn durch die aktuelle Ausstellung und ein anschließender Austausch mit ihm und seinem Team. Seitdem verstehe ich besser, warum die Situation so ist wie sie ist. Und zu Warhol – der bisher nicht gerade zu meinen Favoriten zählte – habe ich nun auch einen Zugang gefunden.

Ich bin durchaus skeptisch zum Treffen gefahren. Ich weiß nicht genau, was ich erwartet hatte, jedenfalls nichts Großes. Wir hatten mit einigen Kolleginnen schon zwei Anläufe gemacht, ins Gespräch zu kommen – der erste nach der guten Idee, aber dem etwas missglückten Start der Open Studio Days im Januar. Dann hatten wir die Offenen Ateliers des BBK im Sommer erneut zum Anlass genommen, in Kontakt zu treten und einen Austausch anzustoßen. Ob diese Aktionen die Initialzündung waren oder ganz andere Gründe vorliegen, ist eigentlich egal. Schön war jedenfalls, dass überhaupt etwas passierte.

Von den rund 40 geladenen Kunstschaffenden waren rund 15 gekommen. Endlich weiß ich, wer zum Team des Kulturamts gehört, alle haben sich die Zeit genommen, vorbeizuschauen. Kurze Vorstellung der Menschen hinter den Kulissen und rein in die Interimsausstellungsfläche im ehemaligen Postgebäude.

Führung durch die Ausstellung

Andy Warhol – Stars & Stories: eine Führung durch die Ausstellung

Ikonische Werke hat Andy Warhol geschaffen – die meisten Menschen kennen seine Campbell-Soup-Dosen, Monroe-Portraits und poppigen Blumensiebdrucke. Diese zu zeigen (und dabei möglichst viele Exemplare der Serien), ist jedoch nur ein Teil der Intention der Ausstellungsmacher. Genauso wichtig sind Alexander Warmbrunn und seinem Team die Geschichten hinter der Show.

Warhol war jemand, den man heute als Influencer bezeichnen würde. Er machte keinen Hehl daraus, dass für ihn Kunst und Kommerz zusammengehören. Er wollte berühmt sein, in Museen hängen. Und wie schafft ein schüchterner Gebrauchsgrafiker den Sprung in die kunstaffine Öffentlichkeit? Indem er Dinge neu zusammenbringt und ständig mit verschiedenen Realitäten spielt. Er setzte eine Sonnenbrille und silberne Perücke auf, diese saß aber gleichzeitig so schlecht, dass die Kostümierung offenkundig war. Der Mensch Andrew Warhola konnte hinter seiner offiziellen Maske des Andy Warhol verschwinden. Dort konnte er polarisieren, seinen Geburtstag nach Belieben verändern, sich mit den Reichen und Schönen dieser Welt umgeben. Dort konnte er sich sogar zu seiner Homosexualität bekennen (oder diese zumindest nicht abstreiten), obwohl er wohl streng katholisch und gläubig war.  

Auch in seiner Kunst spielt er auf der Klaviatur von Schein und Sein, Original und Kopie. So malte er Acrylbilder, signierte diese nicht oder kaum sichtbar, machte dann daraus eine Serie von – theoretisch unendlich wiederholbaren – Siebdrucken, die er mit seiner Unterschrift versah. Serielle Reproduktion, Banalitäten des Alltags, wahllose Massenproduktion und das inflationäre Produzieren gegen Geld – das, was Warhol als Kunst deklarierte, war anders als das, was bis dato in der Kunstszene als Kunst verstanden wurde. Er war vielseitig interessiert und kreativ. Warhol malte und druckte, fotografierte und produzierte Filme und Musik. Er konzipierte Lightshows und versuchte sich als Autor.

Warhol (und seine Suppendose): Ikone der Pop Art

Warhol war wohl der wichtigste Vertreter der amerikanischen Pop Art. Er machte sich zur Marke und verkaufte diese mit großem Geschick. Getrieben und wie ein Seismograf regierte er auf die Informationsflut, zeitgeistige Ästhetik und technische Entwicklungen und transformierte sie zu seiner Kunst. Selbst sein Tod war verkehrte Welt: Ein schweres Attentat auf ihn überlebte er, eine Standardoperation an der Gallenblase Jahre später nicht.

An einigen Stellen in der Ausstellung blitzt Warhols sensible Seite auf: So wird eine Serie mit Zeichnungen („House of Hearts“) gezeigt, die eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Die mit Kugelschreiber gezeichneten Portraits eines Mannes, mit zahllosen Herzen versehen, nehmen eine ganze Wand ein: Bruce, der Betreiber eines New Yorker Cafés, in den Warhol Mitte der 50er Jahre schwer verliebt war. Das letzte Werk der Ausstellung ist ein Schwarz-Weiß-Foto: Warhol als Drag-Queen verkleidet, die ernst den Betrachtenden anblickt. Das hat Warhol geschafft durch sein Spiel mit den Realitäten: Der Mensch hinter der Kulisse blieb der Welt fremd.

Beschriftung einer Wand im Kunstmuseum Lindau

Kunstmuseum Lindau: der Ausstellungsort

Passend zur knallbunten Farbigkeit der Warhol’schen Bilderwelten in kräftigen Tönen gestrichene Wände, die rund 100 Werke durch die einzelnen Lichter perfekt in Szene gesetzt: Wie die Interimsräume in der Nähe des Bahnhofs bespielt werden, dazu hat sich das Ausstellungsteam offensichtlich viele Gedanken gemacht. Warmbrunn erzählt, dass damit der Fokus auf die Bilder gelenkt werden soll, ohne Ablenkung durch Rahmen und Umgebung. Deshalb gibt es auch keine Werkschilder, dafür aber Hörstationen. So soll die Kunst direkt ins Herz treffen und damit zugänglich werden.

Meine Meinung dazu ist etwas anders: Ich empfinde die Beleuchtung geradezu als sakral und überhöht und meine, dass dadurch eher das Gegenteil erreicht wird. Aber es ist schön, dass solche Diskussionen überhaupt möglich sind.

Poppige Wandfarben passend zur Kunst

Bereits über 55.000 Gäste haben die Ausstellung besucht, das kleine Team hat zahlreiche Führungen gestemmt und rund 250 Workshops für Schulen gegeben. Warmbrunn betont, dass das eine wichtige Intention ist: Kinder niederschwellig an die Kunst heranzuführen, um sie zu Kunstinteressierten der Zukunft zu machen.

Das Kulturamt: ein Blick hinter die Kulissen

Im Anschluss stehen wir alle zusammen. Warmbrunn erzählt, welch großen Verantwortlichkeitsbereich das Kulturamt hat schließlich gehören zur Kultur neben der Bildenden Kunst auch die Musik, Theater, Tanz und die Literatur. Und er erzählt auch, wie gering das Jahresbudget für die Bildende Kunst ist. Ein Betrag, der an anderen Orten für eine Ausstellung oder ein Themenwochenende ausgegeben wird. Woher kommen dann die Gelder beispielsweise zur Kunstvermittlung? Indem das Team nach Sponsoren sucht, und möglichst viele Publikationen und Tickets verkauft.

Das wiederum beantwortet meine Frage, warum die Ausstellungen immer die Größen der Kunst zeigen. Sperrige zeitgenössische Kunst verkauft sich leider schlecht. Und ohne Geld gäbe es dann gar keine Kunst. Abgesehen davon: Das Team im Kulturamt ist wirklich klein. Von daher ist meine Hochachtung für das, was dort auf die Beine gestellt wird, gestiegen. Und es ist verständlich, warum eine Zusammenarbeit mit uns, den Kunstschaffenden vor Ort, nur dann möglich ist, wenn es zentrale Ansprechpartner:innen gibt.

Austausch nach der Ausstellungsführung. Barbara Reil, Museumsleiterin des Stadtmuseums, und Kulturamtsleiter Alexander Warmbrunn (2. und 3. v.l.) im Gespräch mit den Kunstschaffenden (Foto: Stephanie Bernhard-Lenz)

Fazit

Warhol hat sich selbst zum Mythos stilisiert und ikonische Bilder geschaffen. Sein Marilyn-Monroe-Portrait wurde 2022 für 185 Millionen Dollar versteigert – und belegt damit momentan Platz 1 für das teuerste Werk der zeitgenössischen Kunst. Die Ausstellung ist sehr gut kuratiert, bietet viele Entdeckungen und die Führung war lohnenswert.
Daneben ist es wunderbar, dass das Kulturamt an diesem Abend gezeigt hat, dass ihm eine engere Zusammenarbeit mit regionalen Kunstschaffenden wichtig ist. Eine Folgetreffen ist anberaumt. Und ein Termin für den nächsten offenen Ateliertag zusammen mit Bregenz in 2024 ist auch bereits festgelegt. An dieser Stelle mal ein riesiges Dankeschön dafür, was das Team leistet, damit die Kultur in Lindau eine wichtige Rolle spielen darf.

Sonderausstellung „Andy Warhol – Stars  & Stories„, kuratiert von Prof. Dr. Roland Doschka, in Zusammenarbeit mit dem Team des Kulturamts
noch bis 15. Oktober 2023
Kunstmuseum Lindau, Maximilianstraße 52
täglich von 10.00 bis 18.00 Uhr

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2 Kommentare

  1. Liebe Dagmar Reiche,
    herzlichen Dank für das positive Feedback.
    Auch wir haben die Begegnung und den Austausch mit den Lindauer Künstlerinnen und Künstlern sehr, sehr positiv erlebt und freuen uns schon auf eine Fortsetzung.

    Antworten
    • Wie schön, in den Austausch zu kommen. Vielen lieben Dank für das Feedback und auch ich freue mich schon auf das nächste Treffen :-)

      Antworten

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