Kunst und Design: Auf der Suche nach den Unterschieden

von | 21. März 2021 | Kunstwissen

kunstreiche Kunst oder Design? eon Doppelleporello

Nach der Schule wollte ich eigentlich nicht Medizin, sondern Kunst und/oder Design studieren. Viel mehr, als dass beide irgendwie mit Kreativität zu tun haben, konnte ich mir darunter allerdings nicht vorstellen. Aber das reichte, um sich verlockend anzuhören. Nun, nach vielen Jahren und zahlreichen beruflichen Schleifen, stehe ich an einem Punkt, an dem ich beides bin: Künstlerin und Designerin.

  1. Was haben Kunst und Design gemeinsam?
  2. Design dient einem Zweck, Kunst ist zweckfrei?
  3. Kunst als Dienstleistung
  4. Motivation versus Inspiration, Emotion versus Verstand
  5. Künstlerin und Designerin – mein persönlicher Weg
  6. Kunst und Design – Hand in Hand

Kunst und Design – wo liegen die Unterschiede? Das Thema beschäftigt mich, weil ich mich damit oft auseinandersetzen muss: Eine Webseite oder zwei? Verschiedene Signaturen in den Mails oder doch nur eine? Sind meine Werke Kunst oder gehören sie in mein Designportfolio? Sage ich Kunden, dass ich auch Künstlerin bin oder ist das kontraproduktiv?

Was haben Kunst und Design gemeinsam?

Um Unterschiede zu finden, ist es oft einfacher, sich zunächst die Gemeinsamkeiten anzuschauen:

  • Das mit der Kreativität hatten wir ja bereits. Auch wenn ich hier ein großes Fass aufmache – was ist Kreativität? – reicht an dieser Stelle eine ungefähre Vorstellung davon, um festzuhalten, dass diese Eigenschaft mit beiden Bereichen eng verknüpft ist: um die Ecke denken, anders sein als andere, neue Herangehensweisen, Lösungen, visuelle Umsetzungen schaffen.
  • Ästhetik ist sicher auch etwas, was vielen Menschen dazu einfällt. Ebenfalls ein großes Thema, das ich – um es korrekt zu beleuchten – erst einmal definieren müsste. Ich möchte mich hier auf die Sicht beschränken, die wohl die meisten Menschen mit diesem Begriff verbinden: Schönheit, Ansprechendes.
    Allerdings stimmt die Überlegung, dass Kunst und Design mit Ästhetik zu tun haben, nur auf den ersten Blick: Es gibt Kunstströmungen, die sich auf die Fahnen geschrieben haben, gerade nicht gefallen zu wollen, auch politische Kunst will eher aufrütteln als etwas Angenehmes fürs Auge bieten. Das Gleiche gilt für Gestaltung: Auch diese soll/muss nicht zwingend ästhetischen Ansprüchen genügen, sondern stellt auch mal Dinge auf den Kopf, regt zum Nachdenken an, ohne dabei schön auszusehen.
  • Der Weg zum Profi Beides sind Fächer mit Studium und Abschluss an staatlichen und privaten Hochschulen. Sie werden gelehrt, in ihnen wird geforscht und in beiden lässt sich zumindest in ihrem theoretischen Teilen ein Doktortitel erwerben, etwa Designwissenschaft und Kunstgeschichte. Doch Kunst und Design lassen sich ebenso im Selbststudium oder in Ausbildungsberufen lernen, etwa als Mediengestalter. Und: Auch ohne formale Ausbildung lässt sich in diesen Berufen erfolgreich arbeiten.
  • Themen und Prinzipien Viele Konzepte aus der Gestaltung finden sich in der Kunst – und umgekehrt: Die Prinzipien von Komposition, Hell und Dunkel, Kontrast, Rhythmus, Farbe, Blickführung – all das, was im Design, etwa bei der Typografie und Buchgestaltung, wichtig ist, ist genauso essenziell beim Malen eines Bildes oder auch der Konzeption einer Ausstellung. So entspricht der Buchtitel dem Ausstellungsthema, einzelne Elemente und Buchseiten sind wie Werke, Werkgruppen und Werkschilder, die Doppelseiten eines Buches sind wie die Wände, Buchkapitel wie die Ausstellungsräume, das gesamte Buch entspricht der Ausstellung.
Kunstausstellungen und Buchdesign haben einiges gemeinsam. Hier ein Ausstellungsraum im Kunstbahnhof Wasserburg mit dem Künstler Georg Kleber (08/2020).

Design dient einem Zweck, Kunst ist zweckfrei?

Die meisten Versuche, zu definieren, was Kunst und Design sind und wie sie sich voneinander abgrenzen, stellen die Zweckgebundenheit in den Vordergrund. Designer haben ein Ziel im Auge, dem sich während des kreativen Tuns alles unterordnet. Künstler dagegen arbeiten bei dieser Sichtweise völlig frei, ohne dass ihr Werk einem Zweck dient.

Kunst als Selbstzweck, Design als etwas, das für etwas Bestimmtes benutzt werden kann. Diese Definition scheint zunächst naheliegend. Damit wäre es ganz einfach, Designer und Künstler voneinander zu unterscheiden. Doch bei näherem Betrachten komme ich ins Schwimmen. Hier ein paar Beispiele:

  • Künstler wie Picasso, die Vasen gestalten – sind die entstandenen Dinge Kunst oder Design? Selbst ein Unikat, also etwas, was es nur einmal gibt, kann mit Wasser und Blumen gefüllt werden. Kunsthandwerk?
  • Was ist mit der Horde an Designern, die Ausstellungen konzipieren (etwa Sagmeister/Walsh mit „Schönheit“) oder Sondereditionen für Rosenthal gestalten? Sind sie dann Designer, Kunsthandwerker, Künstler?
  • Wieso gibt es Designabteilungen in Kunstmuseen wie der Pinakothek der Moderne?
  • Künstler wie Leonardo da Vinci sind auch Forscher, Alchemisten und Produktdesigner. Trotz seiner Berühmtheit als Maler hat da Vinci in seinem Leben neben der Mona Lisa nur 11 weitere Gemälde geschaffen, aber dafür zahlreiche Flug- und Kriegsgeräte, Maschinen und einen Taucheranzug erfunden, Architekturprobleme gelöst und sich mit Städteplanung beschäftigt. Ist er deshalb kein Künstler oder mal Künstler, mal Designer?
  • Albrecht Dürer war nicht nur ein Selbstvermarktungsgenie, sondern hat auch Bücher geschaffen. Künstler? Grafikdesigner? Werbespezialist? Alles?
  • Und was ist, wenn ein Künstler Kunstwerke für eine thematische Ausschreibung oder speziell für eine Ausstellung schafft – ist das deine keine Kunst mehr?

Kunst als Dienstleistung?

Eng verwandt mit der Zweckgebundenheit ist das Thema „Dienstleistung“, sind doch die Ziele, denen Design dienen soll, vom Kunden vorgegeben oder mit ihm zusammen erarbeitet.
Doch was ist mit Auftragsarbeiten in der Kunst? Das freie, unabhängige Tun des Künstlers, der von der Muse geküsst und mit seinem Genius unter Schmerzen kreative Urgewalten auf die Leinwand bannt – dieses Bild, was in vielen Köpfen herumspukt, gibt es noch gar nicht solange. Die Position des Kunstschaffenden wandelte sich etwa im Zuge der französischen Revolution und der Aufklärung. Davor war es normal, dass Künstler Auftragsarbeiten annahmen: Portraits reicher Familien, Bemalungen von Kirchendecken, Landschaften, in denen das Schloss des Kunden prunkte…
Nach unserem heutigen Verständnis haftet Auftragsarbeiten nicht selten etwas Verruchtes an, so als verkaufe der Kunstschaffende seine (kreative) Seele.

Experimentelle Papierarbeit. Kunst oder Prototyp für eine Produktentwicklung?

Künstlerin und Designerin – mein persönlicher Weg

Bei mir hat sich die Entwicklung meiner kreativen Facetten gemächlich vollzogen. Das freie künstlerische Tun, ob beim Malen, Zeichnen, Schreiben, Fotografieren, begleitet mich wellenförmig mein ganzes Leben. Beim Design dagegen ist es schwieriger zu fassen. In meinen Tätigkeiten als Lektorin und Programmleiterin habe ich mich der Buchgestaltung und Typografie bereits sehr verbunden gefühlt und mich damit stärker beschäftigt als viele meiner Kolleginnen. Unvergessen bleibt mir in diesem Zusammenhang die Einladung von Bertram Schmidt-Friederich nach Mainz in meinen Lieblingsverlag Hermann Schmidt, weil ihn nach meiner Frage in der Mittagspause einer Fortbildung die Lust gepackt hatte, die richtige Schrift für „mein“ Medizin-Lexikon zu finden. Aber als Designerin habe ich mich ganz sicher nicht gefühlt. Das kam erst mit und nach meinem Intermedia-Studium und meiner Weiterbildung in der Typografie. Da hatte ich es mit Brief und Siegel und war stolz, mich als Grafikdesignerin und Buchgestalterin bezeichnen zu können.

Kunst oder Design: Diese Frage kam erst etwas später, als ich zunehmend Bilder malte und irgendwann eine Webseite dafür zum Leben erwecken wollte. Als Teil meiner Design-Seite? Als Extra-Seite? Ich habe mich für eine separate Seite entschieden und komme seitdem oft in die Situation, Projekte zu haben, die ich auf beide Webseiten stellen kann. Artists’ Books sind solch ein Beispiel, also Künstlerbücher wie „Hebungen und Senkungen“, handgefertigt und in Klein(st)auflage – Design oder Kunst? Ähnlich geht es mir mit meinem Instagram-Account, den ich seit 2018 bespiele. Begonnen als visuelles Inspirationstagebuch einer Designerin, entwickelt er sich zunehmend als Plattform, auf der ich meine Kunst zeige.

Mein Instagram-Account: eine Mischung aus Kunstwerken, Neuigkeiten aus Kunst und Design und Inspiration.

Motivation versus Inspiration, Emotion versus Verstand

„Design ist Motivation, Kunst ist Inspiration“ – das hat der bekannte Designer Otl Aicher gesagt, der für das geniale Gesamtdesign der Olympischen Spiele in München 1972 verantwortlich war. Charmant und treffend, zumindest auf den ersten Blick. Doch ich bin nicht sicher, ob diese Aussage auch dem zweiten Blick standhält:

  • Auch Kunst kann mich zu etwas motivieren: selbst einen Pinsel in die Hand zu nehmen, mich aktiver fühlen (oder warum hängen in so vielen Büros rote Bilder) oder auch in Kontemplation zu versinken. Politische Kunst kann dazu anregen, mich mit der Aussage oder dem Künstler zu beschäftigen. Installationen wecken Lust, sie mir genauer anzuschauen, drum herum zu gehen, ihre Mechanik zu ergründen. Oder ein Kunstwerk motiviert mich, es zu kaufen, weil ich es um mich haben möchte oder weil ich glaube, es könne an Wert gewinnen.
  • Umgekehrt kann gutes Design natürlich inspirieren. Sonst gäbe es wohl nicht all die großartig gestalteten Magazine, die den Menschen zeigen, wie sie schöner wohnen.

Ein anderer Versuch ist die Beschreibung, dass der Kreative in der Kunst – im Gegensatz zum Design – versucht, einen Kanal für seine Gefühle zu finden. Doch ehrlich: Ich packe in meine klassischen Designprojekte eine Menge an Herzblut und denke, das geht nicht nur mir so. Deshalb fällt es mir als Gestalterin auch manchmal so schwer, damit umzugehen, dass dem Kunden eine Idee oder ein Entwurf nicht gefällt. Selbst wenn ich weiß, dass viele Wege nach Rom führen.

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Für meine Bücher baue ich immer wieder kleine Dummies, um zu prüfen, wie diese funktionieren und wirken. Ich nehme sie dann oft zu Kundengesprächen mit. Sie sorgen für Inspiration und kreative Gespräche, verführen dazu, sie in die Hand zu nehmen. Einzelstücke, die ich mir gern auf den Schreibtisch stelle und deren schlichte Schönheit ich genieße.

Kunst und Design – Hand in Hand

Design ist zielorientiert, beginnt mit einem Briefing (das nicht immer so klar ist, wie man es sich als Designerin wünscht), Kunst dagegen mit dem Material und vielleicht einer Idee. Dabei ist der Prozess wichtiger als das Ziel. Im Design dagegen hat man versagt, wenn das Ziel nicht erreicht ist. Ein Buch, das niemand lesen kann, erfüllt nicht seinen Zweck, es sei denn, es ist Kunst und will genau das erreichen. Doch dann regt es zum Denken an – eine Motivation, die dann doch wieder Design wäre. Auftragsarbeiten wiederum wären dann keine Kunst, haben sie doch das klare Ziel, dem Kunden so sehr zu gefallen, dass er bereit ist, das Geld dafür zu bezahlen.

Fazit

Ja, es dreht sich im Kreis und im Kopf. Mittlerweile frage ich mich, ob nicht der Blickwinkel das Problem ist. Warum muss das überhaupt so klar abgegrenzt/ getrennt werden? Wenn eine Kreative für Kunden Auftragsbilder malt oder umgekehrt Projektideen unabhängig von einem Auftraggeber entwickelt, ist es doch unerheblich, wie ihre Tätigkeit bezeichnet wird oder welches Label wir dem Ergebnis verpassen. Sie ist kreativ und das Ergebnis kann gut oder weniger gut sein. Ich nähere mich diesem Zustand des freien Denkens, übrigens auch ein Zeichen von Kreativität. Und tobe mich in der kreativen Gestaltung von Buchdesign und dem kreativen zweckfreien Arbeiten an meinen Bildern aus.


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2 Kommentare

  1. Liebe Dagmar,
    Obwohl ausgewiesener Nichtkünstler, habe ich deinen Essay doch mit großem Interesse gelesen und mir Gedanken darüber gemacht. Die Unterscheidung zwischen Motivation und Inspiration, die jemand postuliert hat, kommt mir ein wenig konstruiert und fast schon überheblich vor. Wird damit dem Design unterschwellig ein kommerzielles Interesse am Broterwerb unterstellt, welches dem Künstler, der nur seinem Genius folgt, natürlich fremd sein muss?
    Da kann man sich doch ein wenig in der Geschichte umsehen. War Thutmosis ein Designer oder Künstler, als er die Büste der Nofretete schuf (die vielleicht wegen dem überlangen Hals vom Auftraggeber abgelehnt wurde?). Und war Bach etwa ein Musikdesigner, weil er vertragsgemäß jede Woche eine neue Kantate abzuliefern hatte? Also, ich sehe überhaupt keinenprinzipiellen Unterschied, weil Kunst ohne Design genauso wenig existieren kann wie umgekehrt.
    Liebe Grüße! Wolfgang

    Antworten
    • Lieber Wolfgang,
      ich freue mich, dass du den Blogartikel gelesen hast, danke für dein Feedback. Ja, ich bin da sehr bei dir. Deine Beispiele unterstützen meine Gedankengänge und auch meine Conclusio. Wie ich schrieb, habe ich den Eindruck, dass Kunst als Auftragsarbeit heute häufig etwas Anrüchiges hat. Und auch Kunst und Geldverdienen wird meist nicht in einem Atemzug genannt, und wenn, dann abfällig „Kommerz kann keine Kunst sein“ oder „so viel Geld für solch eine Schmiererei“… Ist allerdings auch in Kulturkreisen durchaus unterschiedlich. In Deutschland spricht man eh nicht über Geld, weil dann schnell der Neid da ist :-)
      Komplexes Thema. Aber spannend. Liebe Grüße, Dagmar

      Antworten

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