14 Tipps, wie Sie einer Künstlerin garantiert die Laune verderben

von | 27. Dezember 2024 | Kunstwissen

Fotos von Künstlerin, die kritisch lächelt, in ihren Atelierräumen

Glücklich sein, Empathie zeigen, miteinander reden – die Ratgeberliteratur ist voll von Weisheiten, wie wir das Leben für uns und andere freundlicher gestalten können. Doch was ist mit den Miesepetern dieser Welt? Die kommen immer zu kurz. Deshalb hier ein paar Ideen für Menschen, die Kunstschaffenden so richtig die Stimmung verderben wollen. Doch Achtung: Wenn Sie diese ignorieren, könnte es sein, dass es den Künstlerinnen plötzlich besser geht. Und das wollen Sie doch vermeiden, oder?

Tipp Nr. 1

Fragen Sie die Künstlerin, was eigentlich ihre richtige Arbeit ist / womit sie ihr Geld verdient / was ihr richtiger Beruf ist. Damit schlagen Sie zwei Fliegen mit einer Klappe: Erstens zeigen Sie ihr auf, dass Kunst zu kreieren überhaupt keine Arbeit ist. Und zweitens machen Sie deutlich, dass sich von Kunst sowie nicht leben lässt. Nur für den Fall, dass sie das noch nicht bemerkt hat.

Vertiefung zum Thema gefällig? Bitte sehr: Was macht eine Künstlerin eigentlich den ganzen Tag?

Tipp Nr. 2

Überhaupt das Geld, das ist ein gutes Gesprächsthema: Mit „Was verdient man eigentlich so als Künstlerin“ oder „Können Sie eigentlich von Ihrer Kunst leben“ ersticken sie ganz sicher jede Bereitschaft bei Ihrem Gegenüber, sich weiter zu unterhalten. Schließlich ist das eine Frage, die Sie Ihrem Hausarzt oder der Grundschullehrerin von gegenüber vermutlich gern stellen würden, aber nicht zu stellen wagen. Aber von einer Künstlerin, da wollen Sie es natürlich ganz genau wissen.

Vertiefung zum Thema gefällig? Bitte sehr: Von der Kunst sich zu vermarkten

Tipp Nr. 3

Nochmal das liebe Geld: unerschöpfliches Thema, ansonsten schnell versiegend. Sagen sie endlich mal Ihre Meinung, dass Ihr Gegenüber die Kunst zu billig (oder wahlweise zu teuer) verkauft. Sie können schließlich davon ausgehen, dass sich die Kunstschaffende keinerlei Gedanken dazu gemacht hat, wie Preise zustande kommen. Das weiß doch jeder, dass Kreativität und Finanzielles sich gegenseitig ausschließen.

Vertiefung zum Thema gefällig? Bitte sehr: Was kostet Kunst?

Tipp Nr. 4

Und deshalb direkt der nächste Ratschlag: Handeln Sie. Nicht im Sinn von etwas tun, sondern im Sinn von über den Preis diskutieren. Gehen Sie davon aus, dass die Werke eh zu teuer angesetzt sind und die Künstlerin sowieso mit einem großen Puffer kalkuliert. Und nicht nur das, sie liebt es geradezu, wenn sie in Kostendiskussionen einsteigen und mit ihren Preisen runtergehen darf. Und Sie haben das Verhandeln bestimmt schon bei Ihrem Bäcker oder Friseur geübt.

Vertiefung zum Thema gefällig? Bitte sehr: Warum ich gern Kunst mache. Aber sie ungern selbst vermarkte

Tipp Nr. 5

Fragen Sie die Künstlerin, ob sie ihre Bilder spendet – für Versteigerungen oder Benefizverkäufe. Ist doch für einen guten Zweck – und Menschen kaufen lieber, wenn sie wissen, dass es für einen guten Zweck ist. Dass die Künstlerin finanziell nix davon hat, ist nicht schlimm, sie hat ja etwas für einen guten Zweck getan (woran sie sonst sicher niemals denken würde). Zudem steigt dadurch ihre Sichtbarkeit. Wie sie dann ihren Vermieter davon überzeugt, die Ateliermiete für einen guten Zweck/die Kunst – zu spenden, ist schließlich ihr Problem.

Vertiefung zum Thema gefällig? Bitte sehr: Braucht eine Künstlerin Unternehmenswerte?

Tipp Nr. 6

Gehen Sie davon aus, dass Sie etwas geschenkt bekommen: Ein kleines Bild, einen Druck, einen Katalog, zumindest eine Postkarte. Fragen Sie nicht, was das kostet, das wäre der Künstlerin peinlich. Schließlich ist das ja alles gut dafür, sie bekannt zu machen. Und die paar Euro für den Druck und das Design kann sie sicher aus der Portokasse bezahlen. Und überhaupt: Schließlich möchte sie mit ihrer Kunst die Welt beschenken.

Vertiefung zum Thema gefällig? Bitte sehr: Was kostet eine Ausstellungsbewerbung?

Tipp Nr. 7

Sie haben ein Café, einen Arztpraxis, einen kleinen Laden? Seien Sie großzügig und bieten Sie der Künstlerin an, dort ausstellen zu dürfen. Ist auf jeden Fall toll für die Sichtbarkeit. Aufbauen am besten an einem Sonntag, die Künstlerin schafft das schon (auch bei weiterer Anreise), am liebsten allein.
Eine Eröffnung ist überflüssig, das Geld kann man sich sparen. Die Menschen kommen sowieso (zwar nicht um Kunst zu schauen, aber egal). Und sie freuen sich auf jeden Fall über schöne Räume.
Erwarten Sie, dass die Bilder solange hängen bleiben, bis Sie einen neuen Künstler gefunden haben, der dankbar ist, ausstellen zu dürfen. Und selbstverständlich bekommen Sie bei einem Verkauf 50% des Erlöses, auch ohne Investition in Werbematerialien. Und nicht vergessen: Natürlich dürfen Sie keines der ausgestellten Bilder erwerben. Schließlich brauchen Sie Platz für die nächste Ausstellung mit vielen neuen Bildern.

Vertiefung zum Thema gefällig? Bitte sehr: Sei doch froh, dass du ausstellen darfst!

Tipp Nr. 8

Schauen Sie sehnsuchtsvoll und sagen Sie, dass Sie gern auch solch ein Leben hätten: Bis in die Puppen schlafen, das tun, was man sehr gern tut und dafür noch Geld bekommen. Schließlich haben ja alle anderen Menschen einen Job, bei dem sie Schmerzensgeld erhalten und sich von Wochenende zu Wochenende und Urlaub zu Urlaub hangeln. Wenn einem die Arbeit Spaß macht, verdient man es nicht, Geld dafür zu bekommen.

Vertiefung zum Thema gefällig? Bitte sehr: Mach doch mal was Provokantes! Von der Kunst, bei sich zu bleiben

Tipp Nr. 9

Seien Sie ohne Scheu. Packen Sie bei einer Vernissage die Fotos von Werken Ihren Nichten und Neffen aus. Oder am besten Fotos von Kunstwerken, die Ihre Frau beim letzten Wochenendkurs gemalt hat. Oder sogar Ihre eigenen. Die verdienen es schließlich auch, ausgestellt zu werden. Reden Sie den ganzen Abend nur über diese Arbeiten, während Sie durch die Ausstellung der Künstlerin laufen.

Vertiefung zum Thema gefällig? Bitte sehr: Das erste Mal – die kreative Frische des Neuen

Tipp Nr. 10

Funktioniert besonders gut bei abstrakter Kunst: Fragen sie ganz unverfroren, was das Geschmiere denn überhaupt sein soll. Schließlich kommt Ihr Enkelkind regelmäßig zu Besuch und hinterlässt Berge von bemaltem Papier, das mindestens genauso farbenfroh ist.

Vertiefung zum Thema gefällig? Bitte sehr:

Tipp Nr. 11

Seien Sie ehrlich, auch wenn nicht nach Ihrer Meinung gefragt wurde. Sagten Sie, dass Sie die früheren Bilder definitiv besser fanden. Darauf haben Sie schließlich Bäume und Berge erkannt. Diese seltsamen Farbflächen, die sich mittlerweile über der Leinwand verteilen, sind jedenfalls ein Rückschritt. Da sieht ja keiner mehr, wie gut die Künstlerin eigentlich Wälder und Wiesen malen kann.

Vertiefung zum Thema gefällig? Bitte sehr: „Ihre Kunst sagt mir nichts“

Tipp Nr. 12

Die Erweiterung von Punkt 11: Erklären Sie anderen Gästen, dass Sie die Künstlerin schon lange kennen und wissen, dass sie eigentlich gut malen kann. Und das Ganze jetzt sicher nur eine vorübergehende Findungsphase ist. Falls die Künstlerin das zufällig hört, umso besser: Dann besinnt sie sich vielleicht wieder auf den richtigen Weg.

Vertiefung zum Thema gefällig? Bitte sehr: Kunst braucht Mut

Tipp Nr. 13

Fragen Sie bei Gelegenheit, wie es ist, mit solch einem künstlerischen Talent geboren zu sein. Schließlich hat ja nicht jeder das Glück, dass ihm die Begabung einfach so in den Schoß fällt. Das Tolle ist ja, dass man in der Kunst, anders als beispielsweise im Fußball oder beim Klavierspielen, von der Muse geküsst wird und man dann einfach etwas kann, ohne dafür hart trainieren oder sich weiterzubilden zu müssen. Mit dieser Frage machen Sie sich mit Sicherheit extrem beliebt.

Vertiefung zum Thema gefällig? Bitte sehr: Kunst benötigt Können. Und eine Seele

Tipp Nr. 14

Der ultimative Tipp: Fragen Sie die Künstlerin, was eigentlich die Karriere so macht. Damit geben Sie ihr ganz selbstlos die Gelegenheit, von ihren Wahnsinnserfolgen zu erzählen und sich in Ihrer Bewunderung zu sonnen. Falls sie nach Ihrer Frage kurz zögert, können Sie auch noch genauer nachfragen, z.B. danach, wie viele Bewerbungen für Ausstellungen und Förderungen sie im letzten Jahr gestellt hat und – vor allem – wie viele davon erfolgreich waren. Damit bringen Sie sogar die ausgeglichenste Künstlerexistenz an den Rand der Verzweiflung.

Vertiefungen zum Thema gefällig? Bitte sehr:

Fröhliche Künstlerinnen sind auch ganz nett…

Fazit

Nicht vergessen: Sagen Sie nichts zur Kunst. Überhaupt nichts. Das bekommt die Künstlerin nur in den falschen Hals. Tun sie so, als sei gar keine Kunst da und suchen Sie nach einem unverfänglichen Gesprächsthema (das Wetter geht immer!). Und stellen Sie am besten keine Fragen zum künstlerischen Schaffen, zu den Themen, zur Inspiration, zum Alltag. Schließlich sind Künstlerinnen sehr abgehobene, empfindsame Wesen, denen man schnell auf die Füße treten kann. Deswegen ist es besser, vor allem die eigene Meinung / wahlweise eigenen Bilder an dem Mann zu bringen. Eigentlich interessieren Sie sich sowieso nicht so sehr für Kunst und finden es eher überflüssig, darüber mehr zu lernen. Aber sie mögen die Künstlerin und geben sich deshalb Mühe. Und überhaupt: Sie soll sich nicht so anstellen – schließlich meinen Sie es ja nur gut.

Nachtrag

Die Idee für diesen Artikel entstand nicht nur aus meinen eigenen Erfahrungen, sondern auch aus Berichten, die ich von anderen Kunstschaffenden bekommen habe, nicht selten mit der Anregung, darüber doch mal zu schreiben. Ich denke, mit einer Prise (Selbst-)Ironie und Humor ist es oft einfacher, ungewohnte oder unangenehme Situationen zu bewältigen.

Ich bedanke mich an dieser Stelle bei all meinen Leser:innen, die mir immer wieder Mut machen, mit meinem Blick auf die (Kunst-)Welt die Wahrnehmung von und die Wertschätzung für Kunst zu erhöhen. Und gleichzeitig bedanke ich mich hier für all die tollen, intensiven, wertschätzenden Gespräche und E-Mails, die mich in den letzten Jahren begleitet und erreicht haben, und für die ich unendlich dankbar bin.

Ich arbeite daran, nicht mehr so dünnhäutig zu sein. Auch zuzuhören und anderen Menschen die richtigen Fragen zu stellen, ohne ihnen auf die Füße zu treten. Ich weiß selbst, wie schwierig das oft ist.


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2 Kommentare

  1. Der Artikel ist gleichzeitig richtig gut und humorvoll! Solche Szenen kommen immer wieder vor. Teils aus Unsicherheit, manchmal aus Frust, den eigenen Traum nicht zu leben.

    Antworten
    • Liebe Jaqueline, danke für dein Feedback. Du hast recht: Es gibt sicher zahlreiche Gründe für solche Situationen. Ich versuche, mich auch in die Schuhe meines gegenüber zu begeben, um sie zu verstehen – doch nicht immer gelingt es mir. Dies hier ist eine Einladung, sich auch mal in die Schuhe einer Künstlerin zu stellen und zu versuchen, die Welt aus ihrer Sicht wahrzunehmen. Mit Humor ist das vielleicht einfacher :-)

      Antworten

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